Eigentlich ist der Name nicht ganz richtig. Zu harmlos. „Suchtpotenzial“? Das klingt ja fast so, als könne man die Abhängigkeit vermeiden. Doch nach dem Auftritt des so betitelten Power-Damen-Duos im Pantheon ist klar, dass diese Option nur besteht, wenn man der Kabarett-Show von vornherein fernbleibt. Was man nicht tun sollte. Mit der Wucht eines musikalischen Dampfhammers und genug Witz für eine ganze Kompanie von Singer-Songwritern setzen die Pianistin Ariane Müller und die Sängerin Julia Gámez Martin sämtliche für die Unterhaltung zuständigen Neuronen unter Strom, bis das gesamte Publikum den beiden locker-flockig daher redenden Anonymen Musicaldarstellerinnen förmlich an Lippen und Fingern klebt. So wird aus dem Potenzial Realität. Und das fühlt sich verdammt gut an.
Zugegeben, die Bonner und die schwäbisch-berlinerische Alkopop-Combo haben ohnehin ein ganz besonderes Verhältnis: Nicht umsonst konnten letztere erst im Mai dieses Jahres den Zuschauerpreis des
Prix Pantheon mit nach Hause nehmen. Völlig verdient, wohlgemerkt, gehört Suchtpotenzial doch derzeit zu den sowohl musikalisch als auch textlich stärksten Musikkabarett-Gruppierungen des
deutschsprachigen Raums. Unglaublich, mit was für einer Energie die beiden Frauen ein Genre nach dem anderen beackern und jedes einzelne von ihnen meistern. Oper, Rock, Rap, Metal oder Porno,
Julia Gámez Martin singt alles mit bezaubernd wandlungsfähigem Organ, während Ariane Müller souverän und immer wieder mit mal mehr, mal weniger jazzigem Einschlag für die Begleitung und – auch
das so dezent wie brillant – die zweite Stimme sorgt. Sofern überhaupt gesungen wird. Denn immer wieder unterbrechen bissige Bemerkungen den Vortrag, kleine, zumindest zum Teil improvisierte
Kommentare oder Sticheleien gegen die Bühnenpartnerin. Das Publikum genießt das, die Ladies offenbar auch. Vor allem Julia Gámez Martin hat irgendwann Mühe, ernst zu bleiben, zumal zunehmend auch
pfiffige Sprüche aus dem gut gelaunten Saal kommen. Der Alkopop zeigt Wirkung.
Mit steigendem Spaßpegel sinkt automatisch auch das Textlevel, wenn auch glücklicherweise nie auf ein peinliches Niveau. Auffallend ist dennoch, dass nach der Pause statt der wirklich
phänomenalen Liedermacher-Parodie („Bitte schreib kein Lied“) und einem langen Marsch durch alle möglichen Genres eher freudscher Penisneid und Oberweiten-Missmut vorherrschen. Jetzt werden die
harten Drogen herausgeholt. Ecstasy statt Marihuana, gewissermaßen. Gerade mit Blick auf die Einleitung zu dem „Brust für die Welt“-Lied bleibt jedoch trotz der gelösten Stimmung der Eindruck,
dass Suchtpotenzial hier eine Chance auf etwas Substanzielleres vertan hat, selbst wenn dadurch der Unterhaltungsfaktor vielleicht etwas gelitten hätte. Andererseits hat nicht zuletzt der
ultimative Sommerhit des Duos samt starker Rap-Einlagen und zahlreicher Pop-Zitate diesen durch die Decke gejagt, so dass da durchaus Spielraum gewesen wäre. Alles nur Vermutungen – klar ist,
dass die beiden charmanten Damen mit dem frechen Mundwerk für einen herausragenden Abend im Pantheon gesorgt haben und hoffentlich bald wiederkommen. Schon alleine aus Suchtgründen.
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