Mama Tall ist einfach die Beste! Ihre Nutellabrote sind für ihren Sohn Chris eine Art kulinarischer Heiliger Gral, und das gelegentliche Nachtreten auf den am Boden Liegenden geschieht schließlich auch nur aus Liebe. Nein, auf seine Mutter lässt Chris Tall, der vor allem mit politisch unkorrekten Witzen bei TV Total und in diversen RTL-Formaten bekannt wurde, nichts kommen. Na gut, fast nichts. Die ein oder andere Spitze kann er sich bei seinem Auftritt im ausverkauften Pantheon doch nicht verkneifen, während er in seinem neuen Programm „Selfie von Mutti“ mit seiner Familie, seinen Schauspiel-Ambitionen, Minderheiten und seinem eigenen Körperumfang abrechnet. Typische Comedy-Kost eben. Aber äußerst unterhaltsam präsentiert.
Die Rolle des „lustigen Dicken“, wie Chris Tall sein Mitwirken in der „Hangover“-Kopie „Abschussfahrt“ beschreibt, ist dem Hamburger auf den Leib geschrieben. Der steht dazu. „Ich bin fett und
ich weiß das“, sagt er gleich zu Anfang, was unweigerlich zu dem ein oder anderen Ess-Witz aus dem Publikum führt. Tall nimmt es mit Humor – er schießt ja selber immer wieder gerne in diese
Richtung. Zudem versteht der 24-Jährige es meisterhaft, mit dem Saal zu interagieren, einzelne Leute aufs Korn zu nehmen, ohne sie jedoch vorzuführen und auch einige boshafte Spitzen mit einem
sympathischen Lachen zu entschärfen. Großartig: Als ein Stuhl in der ersten Reihe, der für den extra aus Frankfurt anreisenden Sandro freigehalten wird, auch nach der Pause leer bleibt, erbittet
sich Chris Tall von dessen Freund das Handy und ruft den von seinem Navi auf eine Odyssee geschickten Mann an, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. „Ich finde, ich sollte euch als mein
Publikum mit Respekt behandeln“, sagt er dazu.
Das heißt aber nicht, dass Tall besondere Rücksicht darauf nimmt, wen er mit seinen Sprüchen treffen könnte. Ganz im Gegenteil: Gerade Behinderte nimmt er gerne aufs Korn, liebt Rollstuhl- und
Stottererwitze und fordert ähnlich wie Serdar Somuncu und Kay Ray auch beim Beleidigen das gleiche Recht für Alle. Leider fehlt der intellektuelle Überbau des Ersteren, andererseits aber auch die
dazugehörige Gnadenlosigkeit – die meisten seiner Gags sind frech, aber verhältnismäßig harmlos, so wie es sich für einen braven Jungen von Muttis Gnaden gehört. Die hängt nämlich immer wie ein
Geist – oder auch wie ein Damoklesschwert – über dem ganzen Geschehen, ebenso wie der technikbegeisterte Vater mit seinem unheimlichen Talent für Regen. Diesen Komplex teilt Tall übrigens auch
mit seinem Überraschungsgast Kevin Ray, dem er mit Blick auf das eigene fünfjährige Bühnenjubiläum ein paar Minuten zugesteht, um sich selbst als Comedian auszuprobieren. Hauptthema von
„Alpha-Kevin“: Die Mama. Was sonst? Keine glückliche Wahl, hat sich Chris Tall dort doch bereits mit wesentlich mehr Energie und Witz ausgetobt. Das Publikum zeigt sich dennoch begeistert, feiert
Ray mit ohrenbetäubendem Applaus – und geben zum Schluss für Chris Tall noch einmal alles. Riesen-Jubel für einen sehr sympathischen Künstler mit bemerkenswertem Potenzial. Mit und ohne Mutter.
Kommentar schreiben