Eine Frage bestimmt den Abend: Warum? Warum sind die Menschen offensichtlich angesichts ihrer eigenen maroden Gesellschaftsordnung in eine Art kollektive Verblendung und Verblödung verfallen? Warum denken wir nicht mal nach, bevor wir die Fehler der Vergangenheit wiederholen? Warum, warum, warum. Hagen Rether kann da nur mit dem Kopf schütteln, obwohl er doch eigentlich selbst immer wieder betont, dass wir es besser wissen müssten und uns nicht mehr wundern sollten. Aber er kann einfach nicht anders. Im Rahmen der Reihe „Quatsch keine Oper“ ist der scharfsinnige Kabarettist mit dem Pferdeschwanz nun in Bonn zu Besuch – und ist dabei präziser denn je. Wenn auch so ausführlich wie üblich.
Eine Fokussierung auf einzelne Themen nimmt Rether nicht vor. Hat er nicht nötig, ihn hetzt ja keiner. Gemütlich in seinem Stuhl lehnend bearbeitet er eine Demokratie, die angeblich selbst die
AfD aushalten muss. Was aber, wenn das nicht gelingt? Was kommt dann? So unwahrscheinlich ist dieses Szenario für den 46-Jährigen noch nicht einmal, denn eine Gesellschaft, die mit Dauerstress,
G8-Wahn und Berufsvorbereitungskursen im Kindergarten die eigentlich für die Sozialkompetenz verantwortlichen Wurzeln des Nachwuchses auf Bonsai-Größe schrumpfen lässt, an sich selbst verzweifelt
und dennoch an ein egozentrisches Universum glaubt, scheint gewisse Voraussetzungen für eine Herrschaft des Volkes nur bedingt zu erfüllen. Zumal bei allen Stellvertreterdebatten und
Dauer-Talksendungen die eigentlichen Probleme konsequent ausgeblendet werden. „Die unterirdischen Stromtrassen, die Seehofer jetzt für Bayern fordert, kosten acht Milliarden Euro“, rechnet Rether
vor. „Genau so viel wie die Flüchtlinge.“ Aber darüber regt sich ja keiner auf. Also muss es Rether tun, der mit den Prioritäten der Menschen immer wieder hadert. Denn was sind schon acht
Milliarden Euro für die Bundesrepublik, die bislang noch jede Herausforderung inklusive der Wiedervereinigung gemeistert hat und trotzdem die Schwarze Null in der Bilanz vorweisen kann? Für die
Bankenrettung sind damals 480 Milliarden Euro bereitgestellt worden. War ja alternativlos. Weil es um das gute Geld geht. Aber eben nicht um Leben. „Ich würde sagen, eine Millionen Flüchtlinge
sind too big to fail“, sagt Rether. Recht hat er.
Im Gegensatz zu vielen anderen Kabarettisten, die die Probleme lediglich benennen, führt Hagen Rether auch gerne mal Lösungsvorschläge an, vorzugsweise aus der Ideologie der Linken entlehnt. Aber
warum auch nicht? Immerhin sind gerade in den vergangenen Jahren einige Vorschläge der „linksliberalen Multikulti-Ökospinner“, die lange als verpönt galten, tatsächlich umgesetzt worden. Der
Mindestlohn etwa. Oder der Atomausstieg. Natürlich erst, als das Kind schon in den Brunnen beziehungsweise Fukushima in die Kernschmelze gefallen war. Da trifft Rether einen wunden Punkt. Aber
mal vorausdenken und sich mal mit anderen Positionen auseinandersetzen? Also nicht nur pro forma, sondern einmal richtig intensiv? Vielleicht sogar über eine Veränderung der Gesellschaft
sprechen, die derzeit nur als ultima ratio angesehen wird? Das ist doch eine Bereitschaft, an der es derzeit mangelt. Also übernimmt Hagen Rether das. Und zwar gerne. Und lange. Zwei Stunden ohne
Unterlass – und dann kommt erst die Pause. Das ist zu lang, zumal der Kabarettist irgendwann beginnt, sich zu wiederholen. Argumentieren und formulieren kann Rether ja. Jetzt muss er nur noch
lernen, rechtzeitig einen Punkt zu machen.
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