Ach ja, die großen Komponisten: Bach, Beethoven, Mozart. Alles Diebe. Geklaut haben sie, schamlos kreative Tonfolgen adaptiert – und jetzt haben wir den Salat. Eine kleine Figur zu Beginn eines Stücks, und schon meint jeder, einen Titel nennen zu können. Mit derartigen Missverständnissen und verkorksten Hörgewohnheiten will Hans Liberg nun aufräumen, auch wenn das leichter gesagt als getan ist. „Sie hören immer etwas anderes als ich spiele“, beklagt der holländische Musikclown bei seinem Auftritt in der Bonner Oper, während er auf dem Flügel fröhlich alle möglichen Melodien anspielt und doch bei ganz anderen landet. Er findet Brahms in „Evita“, Mozart in „Jesus Christ Superstar“ und Chopin in „Cheek to Cheek“, verknüpft Mendelsohns Hochzeitsmarsch mit „Fernando's Hideaway“ oder auch mal Samba mit Walzer. „Das geht gut, wenn man will“, sagt er dazu. Und er will halt.
„Attacca“ heißt Libergs aktuelles Programm, benannt nach der Spielanweisung für die übergangslose Verbindung zweier Musiksätze. Ein programmatischer Titel also, zumal der 61-Jährige seit etwa 33
Jahren nichts anderes macht, als ein Zitat an das andere zu hängen und zu sehen, wo man dabei rauskommt. Alles geht, alles passt. Oder wird kurzerhand passend gemacht. Kontinuierlich führt er
sein Publikum aufs Glatteis, wo er es dann mit breitem Grinsen in alle möglichen Richtungen rutschen lässt, in der Regel absurd und immer unvorhersehbar. Für seine beiden jungen Mitmusiker ist
dies eine besondere Herausforderung, die sie nicht immer zu meistern verstehen. Vor allem Schlagzeuger Ralf Adriansen wird oft überrascht von den schnellen Stilwechseln und rhythmischen
Verschiebungen Libergs, kommt kaum hinterher, ist gerne mal zu spät und treibt dann wieder durch das Stück, ohne die eigenen Akzente in Deckungsgleichheit mit denen Libergs bringen zu können.
Gut, er ist auch ganz bewusst ein Opfer des Maestros, der es Adriansen immer wieder besonders schwer macht, Einsätze oder Schlusspunkte verzögert und seinen Drummer immer wieder breit grinsend in
die Bredouille bringt – aber eigentlich sollte dieser dennoch mehr leisten können. Sein Kollege Remy Dielemans am Bass macht es vor, zeigt er sich doch deutlich souveräner und auch spieltechnisch
variantenreicher.
Derweil begiebt sich Liberg auf eine Tour de Force, verzichtet auf die schwarzen Tasten oder greift zu Trompete, Alphorn und Gitarre, macht einen Ausflug in den Jazz und schaut sogar kurz beim
Hip Hop vorbei. Das an sich sangeswillige Publikum gerät in diesem Moment schlichtweg an seine Grenzen und verzweifelt trotz großzügiger Texttafel an den Zungenbrechern von „Rapper's Delight“.
Dann doch lieber zurück zur Klassik – da fühlt sich auch Liberg wohler. Klingt auch besser, sind doch die Stimmqualitäten des Holländers letztlich begrenzt. Am Flügel kann er dagegen dank seiner
großen Fingerfertigkeit zaubern, zumal er nahezu jedes einigermaßen bekannte Stück zumindest anspielen und dazu etwas sagen kann. Auch wenn nicht alles stimmt. Doch der Wahrheitsgehalt seiner
Anekdoten spielt ohnehin nur eine untergeordnete Rolle (immerhin: „A Lover's Concerto“ basiert tatsächlich auf einem Bach-Menuett, ebenso wie „A Groovy Kind of Love“ auf eine Sonatine von Muzio
Clementi Bezug nimmt). Wichtiger ist, das bei Liberg musikalisch alles möglich ist. Nur eine Frage der Einstellung und der richtigen Töne. Das Publikum feiert ihn dafür schließlich mit
begeistertem Applaus.
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