Laus oder nicht Laus, das ist hier die Frage. Oder: Treten oder zertreten werden. Ungeziefer darf schadlos vernichtet werden, zum Wohle der wirklich großen, bedeutsamen Menschen. Diese Ideologie führt der bitterarme ehemalige Jura-Student Rodion Romanowitsch Raskolnikow als Rechtfertigung für seinen Mord an einer alten Pfandleiherin und ihrer Schwester an – eine Tat, die im Mittelpunkt von Fjodor Dostojewskis berühmtem Roman „Schuld und Sühne“ steht. Nun hat das Kleine Theater Bad Godesberg beschlossen, diesen Fall zu verhandeln. Ein mutiges Unterfangen. Aber eines, das trotz eines immer stärker werdenden Hauptdarstellers nur bedingt gelingt.
Regisseur Aydin Işık hat sich bemüht, alles auf die Zerrissenheit Raskolnikows zu fokussieren, auf sein Schwanken zwischen Wahn und Sinn. Eine logische, nachvollziehbare Entscheidung, auch wenn
eine reine Kammerspiel-Produktion wahrscheinlich überzeugender gewesen wäre. Egal: Schon von Beginn an lässt Işık ihn auf der extrem schlicht gehaltenen Bühne von Erscheinungen plagen, die ihn
erst zum Mord drängen und später, nach der Tat, als Sinnbild der Schuld agieren. Doch genau damit begeht der Regisseur einen konzeptionellen Fehler, lässt die Halluzinationen Triebkraft des
Inhumanen und mahnende Stimme der Menschlichkeit in einem sein, ohne in den Gestalten selbst einen Wandel anzudeuten. Ein aus der Eindimensionalität der Phantasmen geborener Widerspruch.
Zugegeben, eigentlich dies nur eine kleine kritische Fußnote bleiben – wäre es nicht zugleich Ausdruck eines grundsätzlichen Problems. Denn das Panoptikum auftretender Figuren, die alle ein
zumindest kurzes Bühnenleben und eine damit verbundene Komplexität verlangen, überfordert (typisch für derzeit so beliebte monumentale Romanadaptionen) sowohl die Regie als auch das Ensemble. So
werden manche Figuren zu Abziehbildern. Und die geben Raskolnikow einfach nicht die Reibung, die er für seine Wandlung vom Saulus zum Paulus benötigt.
Die Inszenierung krankt vor allem daran, dass mit Ausnahme von Felix Höfner (Raskolnikow) alle Schauspieler zwar gezwungenermaßen zwei oder gar drei Rollen haben, diese aber nicht alle in
gleichem Maße auszufüllen verstehen. So ist Hanno Dinger abgesehen von einem aufgesetzten, penetranten Zwinkern zwar ein überzeugender Kommissar Porfirij, der in aller Ruhe gegen Raskolnikow
ermittelt und einen soliden Gegenpart zu dem emotional instabilen Protagonisten darstellt; als schmieriger Advokat Pjotr Petrowitsch Lushin bleibt er dagegen eindimensional, als verarmter Beamter
Marmeladow gar ein wandelndes Klischee. Ähnlich ergeht es Slim Weidenfeld, der Raskolnikows lautstarken Freund Rasumichin recht souverän spielt, die Nebenrollen aber nicht ganz so präsent hat.
Oder Bettina Muckenhaupt: Als Raskolnikows Mutter liebenswert, als Pfandleiherin aber einfach nicht biestig genug – obwohl es doch gerade die Boshaftigkeit der wuchernden Alten ist, mit der der
Mörder seine Tat sich selbst gegenüber rechtfertigt. Gänzlich farblos bleibt Sandra Pohl als Raskolnikows Schwester Dunja sowie als – laut Roman – geistig zurückgebliebene Lisaweta, und auch die
bezaubernde Dominique Mona Guttes gewinnt als verarmte Prostituierte Sonja leider keine Tiefe. Weder Mimik noch Akzentuierung des Ensembles bleiben konstant; zu oft greifen die Schauspieler trotz
mancher starker Momente auf Schablonenkunst zurück, die ihren Rollen nicht gerecht werden. Immerhin vermag der immer stärker werdende Höffner die Handlung in weiten Teilen zu tragen – doch ohne
einen Gegenpart auf Augenhöhe und ohne klare Reflektionsflächen fehlen ihm Entwicklungspotenziale und der Inszenierung eine nicht mit Lautstärke zu verwechselnde Dynamik und Leidenschaft (über
erstere haben sich schon so manche Zuschauer beschwert), die das Publikum in besonderem Maße fesselt.
Letztlich bleibt „Schuld und Sühne“ im Kleinen Theater leider hinter den Möglichkeiten zurück. Trotz einiger überzeugender schauspielerischer Leistungen machen die fehlende Linienführung und die
oft absackende Spannung es schwer, der Inszenierung mit Wonne zu folgen. Das Publikum, sofern es nicht schon in der Pause gegangen war, goutierte das Stück denn auch mit freundlichem, aber nicht
gerade frenetischem Applaus.
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