Einen hat Obama nicht gekriegt. Am Welttag des Jazz hat der US-Präsident ein großes Konzert in Washington organisiert und dabei viele Stars eingeladen, an denen auch das Bonner Jazzfest Interesse gehabt hat, wie dessen Chef Peter Materna in der Aula der Universität Bonn mit nur einem halben Augenzwinkern bekennt. Chick Corea, Pat Mattheny, Diana Krall und Aretha Franklin haben verständlicherweise der US-Hauptstadt den Vorzug gegeben – doch das Programm in der deutschen Bundesstadt an diesem speziellen Samstag kann sich nichts desto trotz sehen lassen. International besetzt, abwechslungsreich und virtuos kommt es daher und weist mit Michael Wollny zugleich einen Shooting Star der deutschen Jazzszene auf, der keinen weiteren Gedanken an mögliche große Namen zulässt. Mit seinen „Nachtfahrten“ sorgt der 37-Jährige Pianist für begeisterte Gesichter und stehende Ovationen. Zu Recht, denn eine gewisse Magie ist omnipräsent.
„Es ist ja nicht nur der Weltjazztag, sondern auch Walpurgisnacht“, erklärt Wollny. Beidem wird er gerecht. Den feinen, oft klassisch geprägten Jazz-Trio-Kompositionen mit ihren virtuosen Läufen
steht der ekstatische Wahnsinn des Hexenhochfests zur Seite, in dem Regeln genüsslich zunächst degustiert und und dann dekonstruiert werden, um der Zügellosigkeit Raum zu geben. Dann schlüpft
Wollny fast in seinen Flügel hinein, zupft an den Saiten oder hämmert auf die Tasten ein, während der gewohnt herausragende Drummer Eric Schaefer, dessen differenziertes Spiel in
Sekundenbruchteilen zwischen gefühlvoller Zurückhaltung und explosiver Wucht zu wechseln vermag, beinahe manisch um sich schlägt und sich der völligen Freiheit hingibt. Dazu noch Bassist
Christian Weber, und das scheinbare Chaos ist perfekt. Bis die drei Musiker wieder zur Ruhe kommen, in die immer im Hintergrund schwebende Formensprache zurückfallen und den Besen zumindest für
eine Weile wieder in die Ecke stellen. Dieses beständige Changieren zwischen expressiver Kakophonie und eleganter Euphonie ist schon etwas Besonderes, zumal es Wollny und seinen Kollegen gelingt,
dabei immer auch die Spannung zu halten.
Genau damit hat die kolumbianische Formation fatsO in dem ein oder anderen Moment noch leichte Probleme. Andererseits ist die Band noch jung, spielt jetzt erstmals ein paar ausgewählte Konzerte
in Europa, nachdem sie bereits auf der Jazzahead-Messe in Bremen zahlreichen Fachbesuchern den Kopf verdreht hat. Dafür ist der spezielle Mix aus Soul, Jazz und Blues einfach zu faszinierend. Ja,
es ist etwas völlig anderes als die Klangzaubereien eines Michael Wollny, weshalb auch der ein oder andere die Aula verlässt, doch deswegen nicht weniger hörenswert. Vor allem Sänger Daniel
Restrepo, der mit seinem geliebten und der Band ihren Namen gebenden fetten Bass im Arm in der Mitte der Bühne steht, sorgt für Begeisterung. Seine Reibeisenstimme erinnert entfernt an einen
jungen Tom Waits, seine oft sozialkritischen Texte nicht minder. Allerdings drängt er in einigen Stücken die exzellente vierköpfige Saxofon- und Klarinettenfraktion ein wenig zu sehr in den
Hintergrund. Schade eigentlich, von ihnen würde man mitunter gerne mehr hören. Denn wenn sie dürfen und sich in Soli austoben können, lohnt sich das, auch wenn durch das Fehlen von Trompeten der
Sound nicht ganz so fett wirkt wie bei einer Funk-Combo, nicht ganz so wuchtig, nicht ganz so groovend. Dafür schaffen fatsO eben etwas Eigenes – und mehr kann man vom Jazz in all seinen
Spielarten eigentlich auch nicht erwarten.
Kommentar schreiben