Was ist Musik? Wo fängt sie an, wo hört sie auf? Bedarf sie der Klänge, oder kann sie auch eine Ansammlung von Geräuschen sein? Diese Fragen drängen sich bei dem Auftritt von Sidsel Endresen und Stian Westerhus im Rahmen des Bonner Jazzfests unweigerlich auf. Ist das, was die beiden Norweger da in der Brotfabrik präsentieren und was sich herkömmlichen Begriffen wie Tonalität, Harmonie und Melodie nahezu vollständig entzieht, noch Kunst oder kann das schon weg? Wie lässt sich dieses amorphe Geräuschkonstrukt definieren, das in weiten Teilen mehr mit der kosmischen Hintergrundstrahlung als mit dem sonst üblichen Verständnis von Musik zu tun hat und das etwa die Hälfte des Publikums in dem anfangs bis auf den letzten Platz gefüllten Saal nach und nach in die Flucht treibt?
Dieses Klackern und Kratzen, Knattern und Schnarren, Grollen und Brummen, das Endresen, immerhin die wohl einflussreichste Jazz-Sängerin ihrer Heimat, und ihr Experimental-Gitarrist von sich
geben und die die wenigen Momente, in denen sich tatsächlich so etwas wie Harmonie aus der Asche dieser gewaltigen Klangdekonstruktion erhebt, dadurch besonders betont, scheidet die Geister:
Während die einen es nicht aushalten, sind die anderen voll des Lobes. Der Auftritt wird so zu einem Äquivalent der Fettecke von Joseph Beuys. Auch dieses Werk sorgte für hitzige Diskussionen in
der Kunstszene – vor allem nachdem eine Reinigungskraft neun Monate nach dem Tod des Künstlers besagte Fettecke „entsorgte“, was zu einem Eklat führte. Endresen ist zumindest an diesem Abend
ähnlich umstritten: Manche bezeichnen sie als personifizierte Innovation, die die Grenzen der Musik ausdehnt. Und andere sehnen sich nach einem Hausmeister.
Diese Diskussion stellt sich zumindest beim vorhergehenden ersten Konzert des Abends nicht: Das Spiel der Fuhr Brothers um den Saxofonisten Wolfgang und dessen Bruder, den herausragenden
Bassisten Dietmar Fuhr, liegt auf einer ganz anderen Ebene, ist weitaus konsumerabler und nachvollziehbarer als Endresens und Westerhuses Noise-Performance. Das Quartett hat sich Kompositionen
von Albert Mangelsdorff, Wolfgang Dauner und Gerd Dudek angenommen, die im virtuosen Miteinander für ungeteilte Begeisterung sorgen, auch wenn die Seele nur bedingt angeregt wird. Technisch
bieten die vier Musiker auf jeden Fall ein exzellentes Konzert, das mit einem herrlichen Arrangement eines mittelalterlichen Liedchens auch ein fuhrioses Finale aufweist.
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