So klingt also Zukunftsmusik: Mal lyrisch und fast schon klassisch, mit Querflöten in einer Bigband-Besetzung und fließenden Melodielinien, dann wieder in sich zusammenfallend, ein tonales Circus-Chaos im Swing-Modus. Dazwischen geschichtete Harmonien, Weiden- und Ruinenklänge. Ergebnisse einer Art von Kompositionswettbewerb des Bundesjazzorchesters (BuJazzO), die beim Auftakt des inzwischen siebten Bonner Jazzfests am vergangenen Freitag im Telekom Forum erstmals zu Gehör kamen und einen bemerkenswerten Kontrast zu den Klassikern bildeten, die der berühmte Bassbariton Thomas Quasthoff mit ebenso viel Leidenschaft wie Können präsentierte. Ein starker Auftakt – und zugleich ein Abend ganz im Sinne des viel zu früh verstorbenen Roger Cicero, der ursprünglich in diesem Rahmen auftreten wollte.
Der Geist des Swingmusikers, der am 24. März mit nur 45 Jahren einem Hirninfarkt erlag, schwebte kontinuierlich über der Veranstaltung. Für Organisator Peter Materna war es ein persönlicher
Verlust, er und Cicero kannten sich über eben jenes BuJazzO, das sich an diesem Abend in Bestform zeigte. Und auch Quasthoff äußerte sich über seinen Kollegen, den er als eine herausragende
Sängerpersönlichkeit lobte und dem er das sehr getragene „In My Solitude“ widmete. Ohnehin hätten beide verwandte Geister sein können: Beides leidenschaftliche Crooner mit einer Schwäche für
Frank Sinatra, auch wenn Quasthoff, der sich trotz seiner Bühnenpräsenz und seines Selbstbewusstseins erstaunlich kamerascheu gab und keine Pressefotografen zuließ, eher die ruhigeren Nummern
bevorzugte – für Tempo sorgten dann doch eher Pianist Frank Chastenier, Bassist Dieter Ilg und Drummer Wolfgang Haffner. Nicht dass der Mann mit der großen, ganz großen Stimme nicht auch anders
konnte: Rau röhrend etwa beim „Piano Man Blues“, dabei die tiefsten Tiefen auslotend, oder entspannt swingend bei „Fly Me To The Moon“. Höhepunkt war jedoch eine Impro-Nummer, bei der Quasthoff
alle Register zog, scattete, grummelte, trötete, knötterte und schmetterte. Herrlich. „Ich habe immer gewusst, dass Bonn einen ganz besonderen Geschmack hat“, kommentierte er schließlich mit
Helmut Kohls Stimme den tosenden Applaus. So paarte er in seinem Konzert Humor mit Trauer, nicht nur um Roger Cicero, sondern auch um Roger Willemsen. Beide hätten diese Mischung zu schätzen
gewusst.
Während Quasthoff auf Standards setzte, griff das BuJazzO ganz neue Werke auf, allesamt geschrieben von U30-Komponisten, wie Dirigent Niels Klein betonte. Nicht jedes Stück war dabei sogleich
zugänglich – mitunter hatte man auch den Eindruck, dass bei dem verzweifelten Versuch, die Grenzen des Jazz zu erweitern, das Zentrum ein wenig aus dem Blick gerät. So ist es denn auch
ausgerechnet der Kurt-Weill-Klassiker „I'm A Stranger Here Myself“, der mit einem exzellenten Arrangement für das BuJazzO-Gesangsensemble den stärksten Eindruck hinterlässt. Wie auch immer:
Zumindest steht die gezeigte Bandbreite sowie die Verbindung von alten und neuen Kompositionen symbolisch für das gesamte Bonner Jazzfest, das noch bis zum 7. Mai in insgesamt elf Doppelkonzerten
alle Spielarten des Jazz präsentieren wird. Dabei sind mit Lisa Simone, Michael Wollny, Bettye LaVette, Jacob Karlzon und Vijay Iyer einige ganz große Namen mit von der Partie. Allerdings sind
bereits sämtliche Konzerte ausverkauft. Typisch Jazzfest eben.
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