Es weht ein zunehmend frischer Wind durch die Bonner Kulturszene, auch wenn mancher Pessimist das mitunter noch nicht so ganz glauben mag. Doch die diesjährige 10. Bonner Theaternacht hat einmal mehr bewiesen, dass sich nicht nur im Theater Bonn mit seinem sehr jungen Ensemble ein Generationenwechsel vollzieht. Bei der großen Werkschau am 4. Mai war ein Großteil der Bühnen fest in der Hand des international ausgerichteten Nachwuchses: Im Euro Theater Central hatte die deutsch-italienisch-französische Theatergruppe GIFT das beliebte Speed-Acting übernommen und Figuren aus ihrem Stück „Xeno“ (darunter Iago, Othello und Hitler) in Gesprächssituationen mit dem Publikum gebracht, in der Probebühne 4 des Schauspielgeländes Beuel schickte die Alanus-Hochschule ihre Studenten auf die Bühne, im Mackeviertel um Kult 41 und Fabrik 45 bestimmten studentische Gruppen ebenso das Bild wie in und an der Universität, und die Brotfabrik ist ohnehin schon seit Jahren fest in der Hand frischer freier Ensembles wie der Gerüchteküche, der spanischen Gruppe LaClínicA sowie der Bonn University Shakespeare Company (BUSC).
Sie alle wollten spielen – und spielen durften sie. Den ganzen Abend über, bis Mitternacht und noch darüber hinaus war die Bundesstadt erfüllt von Theater in allen Farben und Formen. 150
Veranstaltungen an 37 Spielstätten standen auf dem Jubiläumsprogramm, von Commedia dell'arte über Kabarett bis hin zu Tanz war dabei für so ziemlich jeden etwas dabei.
Der Andrang gab dem Konzept recht: Schon einige Tage vor der Theaternacht waren die Startertickets, mit denen die Besucher ihre erste Veranstaltung fest buchten und danach nach Belieben durch die
Stadt pendeln konnten, restlos ausverkauft. Der Voodoo-Zauber von Schirmherr Dave Davis scheint also gewirkt zu haben, ebenso wie der geheime Sonnentanz, mit dem er für perfektes Wetter sorgte.
Zusammen mit Kulturdezernent Martin Schumacher und Generalintendant Bernhard Helmich ließ er zur Eröffnung vom Dach der Oper ein paar Luftballons gen Himmel steigen und stürzte sich dann zusammen
mit mehr als 3000 Besuchern ins Vergnügen. Alle Highlights abzuklappern, blieb dabei allerdings ein Ding der Unmöglichkeit. So vieles lohnte sich: Die Zirkustruppe BurenCirque etwa, die auf
Einladung des Institut Français am Alten Zoll eine Mischung aus Equilibristik, Akrobatik und Tanz in einer Rauminstallation darboten; der Einblick in eine offene Probe zur Oper „Holofernes“; oder
eben das bereits genannte Speed-Acting im Euro Theater. Eindrucksvoll war auch die Kooperation der Bonner Tanzkompanie bo komplex mit dem Ballett Koblenz und der Tanzcompagnie Gießen, bei der
sieben kleine Choreographien einen Einblick in zeitgenössische Bewegungssprache gaben, mal ungeheuer dynamisch, dann wieder extrem minimalistisch, immer faszinierend.
Auch die zahlreichen Produktionen in der Brotfabrik waren beeindruckend. Die Textcollage „La Manchas de la Jirafa 2.0“ der Romanisten-Gruppe LaClínicA erwies sich als erstaunlich
gesellschaftskritisch und mit einfachen Mitteln effektiv in Szene gesetzt, die von Bert Brecht und Kurt Weill geschriebenen Songs aus Elisabeth Hauptmanns „Happy End“ kamen in der Fassung der
Gerüchteküche gut zum Tragen, und das Ein-Personen-Stück „The Grand Inquisitor“, das aus dem fünften Kapitel von Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasow“ hervorgegangen ist, wurde dank des
exzellenten Hendrik Flanagan-Wevers zu einer eindringlichen Abrechnung mit der Kirche. Köstlicher Höhepunkt in diesem kulturellen Ballungszentrum war jedoch die herrlich schräge, fast schon
trashige BUSC-Adaption von Shakespeares „Much ado about nothing“, die dank zahlreicher Anspielungen aus der Popkultur für großen Jubel im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal sorgte. Das
Publikum war, wie wohl auch anderenorts, zufrieden. Der Generationenwechsel ist geglückt.
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