Früher war alles besser. Oder zumindest anders. Mitunter gar einfacher. Und das, obwohl es eigentlich nichts gab. Das Fernsehen bestand aus nur drei Programme (eins davon mit Schnee), Die Küche aus Prilblumen, der Nudelsalat aus wahrscheinlich von Nahrungsmittelterroristen erfundenen Gabelspaghetti und das Taschengeld aus gerade einmal zehn Mark im Monat, mit denen sowohl der Zigaretten- als auch der Alkoholkonsum abgedeckt werden musste, was so manchen Teenager unweigerlich kreativ werden ließ. So auch Jochen Malmsheimer, der sich im Pantheon mit nostalgischer Verklärung an die 70er Jahre erinnerte, jene Ära, die an Merkwürdigkeit bis heute unübertroffen ist. Mit der ihm eigenen titanischen Wortgewalt hämmerte der 54-jährige Sprachschmied die Sätze in eine elegisch-ironische Form – und hielt das zwischen Begeisterung, Bewunderung und Zustimmung hin- und hergerissene Publikum mühelos zwei Stunden lang in seinem Bann.
Dabei war auch das vorgetragene Programm nicht mehr taufrisch – 16 Jahre sind seit der Kopfgeburt von „Wenn Worte reden könnten oder 14 Tage im Leben einer Stunde“ vergangen, nur gelegentlich
wird es noch an die Luft geholt. Vielleicht war das der Grund, weshalb Malmsheimer an einigen Stellen ein wenig abgelenkt schien und selbst durch das harmlose Eiswürfelangebot einer fürsorglichen
Dame aus dem Publikum, die seinem Wasser so zu einer erfrischenderen Trinktemperatur verhelfen wollte, an den Rand eines Herzkaspers gebracht wurde. „Sobald ich mir zuhöre, komme ich aus dem
Text“, bekennt er. Andererseits hat die Zeit den Texten nichts anhaben können: Die sich aus den eigenen Hundeerfahrungen speisende Geschichte über das Leiden an und von übereifrigen
Kontaktbereichsbeamten, die selbst für Mähnenwölfe eine Leinenpflicht durchsetzen wollen und dabei schon an einer Dogge respektive eines vermeintlichen und eines tatsächlichen Herrchens
verzweifeln, hätte angesichts der herrschenden Sprachverwirrung auch ohne weiteres von Loriot stammen können; und die Beschreibung einer typischen Ruhrpott-Omma (mit mindestens zwei M) samt Kappe
und Robbenfell-Stiefeletten erschien als logischer Vorgänger von Malmsheimers berühmtem bürgerlichen Wohnzimmer. Dem gegenüber standen die in biblisch finsteren Kellerräumen begangenen
Jugendsünden, bestehend aus Kippen, Alkohol-Druckbetankungen und ersten von der Partnerin nicht als solche erkannten Sex-Versuchen.
Bei all diesen Blicken in die Vergangenheit war doch die eine große Liebe Malmsheimers unverkennbar: Die deutsche Sprache. Ihr hat er sich ergeben, mit jeder Faser seines Seins. „Hat sich jedem
erschlossen, dass ich gerne spreche?“, fragte er irgendwann. Klar. Schon nach den ersten fünf Minuten. Doch Malmsheimer wäre nicht Malmsheimer, wenn er sich nicht auch um die von ihm so gerne und
so oft genutzten Worte sorgen würde. „Was macht eigentlich ein Wort, nachdem es gesprochen wurde?“ Was wohl? In eine Kneipe gehen. In den „Satz“. An einen Ort, an dem sich betrunkene Vokale mit
einem L verbrüdern, mondäne Modalverben auf plumpe Präpositionen stießen, Satzzeichen Dart spielen und das Erscheinen des von Dialektpressen brutal misshandelte Oachkatzlschwoaf zu einem
Wortaufstand führt. Und Jochen Malmsheimer? Ist in diesem Satz wahrscheinlich der Wirt.
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