Wenn schon, dann aber bitte richtig: Mit einem für alle Beteiligten äußerst anspruchsvollen Doppelkonzert ist am vergangenen Samstag das siebte Bonner Jazzfest in der Bundeskunsthalle zu Ende gegangen. Stilecht also. Schließlich setzt das Team um Organisator und Initiator Peter Materna nicht auf Easy Listening, sondern auf Künstler, die den Jazz (neu) definieren. So wie derzeit etwa Vijay Iyer, der seit einigen Jahren für Furore sorgt, indem er Avantgarde und Tradition nicht einfach nur verbindet, sondern sie verschmilzt und das Amalgam mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit präsentiert, die seinesgleichen sucht. Zusammen mit seinen beiden herausragenden Trio-Partnern Stephan Crumb (Bass) und Marcus Gilmore (Drums) stürzte er sich in ein hochkomplexes musikalisches Gespräch ohne Punkt und Komma, das das Publikum sowohl begeistert als auch sprachlos zurückließ.
Zuvor hatte Nils Petter Molvær, der momentan auf Solopfaden wandelt, die Zuhörer auf ganz andere Weise gefordert: Der weitgehend im Dunkeln sitzende Trance-Trompeter wob Klangschatten aus
sphärisch aufgeladenen Versatzstücken, die über einem pulsierenden Bass, der ab und an die Hallenakustik überforderte und das Bühnengestänge zum Klirren brachte, in den Weiten des Forums
verschwanden. Der Norweger gilt ohnehin schon als Pionier der Fusion von Jazz und Elektronika, als einer, der die Grenzen der Musik und seines Instruments auslotet und erweitert – in der
Bundeskunsthalle setzte er diesen Weg nun fort, die Computereffekte beständig nachregelnd, dazwischen sein Instrument singen lassend oder selbst in das Mikro am Trompetentrichter hineinflüsternd.
Tonkunst in Eigenregie, die durch entsprechende Projektionen auf der Videoleinwand im Hintergrund in eine nicht minder abstrakte Bildsprache umgesetzt wurden.
Die permanent mitschwingende Frage nach dem Wesen des Jazz, die bei Molvær und seiner in den Techno hineinragenden Improvisation im Hintergrund lauerte, war ein maßgebliches Element des gesamten
Festivals. Künstler wie Sidsel Endresen und Stian Westerhus, deren Darbietung in der Brotfabrik höchstens noch als Noise bezeichnet werden konnte (was etwa die Hälfte des Publikums mit einem
fluchtartigen Verlassen des Saales quittierte), verdeutlichten dabei eine der Extrempositionen – die andere, die abseits von Dixieland-Musik und den Werken Duke Ellingtons keine Weiterentwicklung
zulässt, spielte dagegen keine Rolle. Innovation war das Stichwort, auf das sowohl Veteranen wie Wolfgang Dauner, Richie Beirach und Dave Liebman als auch Nachwuchs-Jazzer wie Michael Wollny,
Girls in Airport oder Jacob Karlzon zurückgriffen. Der Jazz, so zeigte sich, ist so lebendig wie selten zuvor, und auch wenn nicht alle Wege ins Licht führen mögen, sich mitunter durch obskure
Schatten schlängeln und in Bereiche jenseits des Klanglichen vorstoßen, kann eine gewisse inspirierende Wirkung doch nicht verleugnet werden.
Diesem Ansatz können viele etwas abgewinnen: Etwa 5000 Besucher verzeichnete das Jazzfest diesmal; 22 ausverkaufte Konzerte an elf Abenden sorgten zusammen mit dem vielfältigen, auf Kontrasten
aufbauenden Programm dafür, dass manche Gäste das Festival bereits als wichtigstes Jazz-Ereignis Nordrhein-Westfalens bezeichneten. Kein Wunder, gelang es Materna und seinem Team doch einmal
mehr, Weltstars wie etwa Lisa Simone, Bettye LaVette, Thomas Quasthoff oder eben Vijay Iyer zu gewinnen, die für umjubelte Konzerte sorgten. Und während jetzt nach drei anregenden und
anstrengenden Wochen die Jazz-Fans aufseufzen, laufen bereits die ersten Vorbereitungen für das kommende Jahr. Der Jazz wird Bonn also wohl erhalten bleiben.
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