Irritation. Ja, Irritation trifft es gut. Irritation – und Langeweile. Sehr viel mehr löst Mirja Biels Inszenierung von Kafkas Romanfragment „Das Schloss“, die am vergangenen Freitagabend in den Kammerspielen als letzte Produktion der aktuellen Spielzeit Premiere hatte, leider beim Publikum nicht aus. Keine Beklemmung, keine Anspannung, noch nicht einmal ein Gefühl des drohenden Wahnsinns. Zweieinhalb Stunden lang Leere. Und während die Figuren sich wie auf einer überdimensionalen Spieluhr um sich selbst drehen, versinkt die Groteske in einem Meer aus Kunstschnee, der alle Ecken und Kanten verdeckt, alle Löcher, Abgründe, Tiefen.
Dabei hätte das Stück so viel mehr sein können. Die offenbar durch Lars von Triers „Dogville“ inspirierte Schauspiel-Ästhetik, die Biel ihrer Inszenierung zu Grunde legt, bietet an und für sich
genug Potenzial, um sowohl die abstrusen Mühlen der Bürokratie, in die der vermeintliche Landvermesser K in einem Dorf am Fuße eines nebulösen Schlosses gerät, als auch die zwischenmenschlichen
Dimensionen um den in ein starres System eindringenden Fremden auszuloten. Wenn man diesen – oder zumindest irgendeinen – Ansatz nur konsequent verfolgen und eine klare Theatersprache finden
würde. Stattdessen geschieht einmal mehr genau das, was im vergangenen Jahr so manchem Bonner das Theater verleidet hat und was eigentlich in dieser Spielzeit überwunden schien: Wahllos schöpfen
Biel und ihr Ensemble aus dem Fundus, ketten eine belanglose Idee an die nächste und verlieren dabei den Kern des Stücks aus den Augen. Warum zum Beispiel das gläserne Wartehäuschen, das das
Zentrum des Geschehens bildet, ausgerechnet auf einer Drehbühne steht, ist im Verlauf der Konzeption anscheinend ebenso unter Papierbergen begraben worden wie die Bestellung eines Landvermessers
in Kafkas Roman. Was soll das – diese Frage stellt sich immer wieder. Mal tanzen Kinder mit Leuchtstäben durch die Gegend und erinnern mit ihrem Plumpssack-Gesang beinahe an „Das Dorf der
Verdammten“, ohne jedoch einen entsprechend nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, dann wieder tappst ein Bär umher, um schließlich mit K auf Tuchfühlung zu gehen. Warum auch immer.
In diesem „Dogville“ ohne Hunde, diesem „Schloss“ ohne Zähne zeigen sich auch die Schauspieler nicht von ihrer stärksten Seite. Birte Schrein wirkt als Wirtin vom Brückenhof ebenso artifiziell
und bemüht wie der völlig ausflippende Daniel Breitfelder als Gehilfe mit schizophrenen Anwandlungen, der mit seinen Kaspereien weder Protagonist K noch das Publikum aufzuheitern vermag. Robert
Höller (Schwarzer), Mareike Hein (Olga) und Johanna Falckner (Frieda) haben in der Vergangenheit ebenfalls schon deutlich mehr gezeigt. Selbst Sören Wunderlich, sonst immer eine verlässliche
Größe im Ensemble, bleibt als Bote Barnabas (mit Hermes-Flügeln an den Sandalen – mehr Kitsch ging wohl nicht mehr) eindimensional und farblos. Lediglich Bernd Braun, dessen bärbeißig-grummeliger
Wirt vom Herrenhof zumindest etwas Kontur besitzt, und Benjamin Grüter als Ortsvorsteher Momus können sich vom insgesamt schwachen Ensemble-Spiel abheben. Und Hajo Tuschy, der als K immerhin die
gesamte Handlung tragen muss? Bleibt ebenfalls seltsam undefiniert und verfällt viel zu schnell in Handlungs- und Sprechmuster, derer er sich schon in früheren Produktionen bedient hat. Der
Wandel vom gnadenlosen Manipulator zum sozialen Pariah, den K im Laufe des Stücks vollziehen muss, lässt so leider den nötigen Biss vermissen.
Mit „Das Schloss“ hat das Bonner Schauspiel alles andere als eine Glanzleistung abgeliefert. Zu viele nebulöse (statt einer klaren) Visionen wabern lieb- und leblos zweieinhalb Stunden lang im
Gedankenraum der Bühne umher, ohne sich manifestieren zu können. So spendet das Publikum im nur halbvollen Saal nach einem abrupten Ende zunächst zögerlich und schließlich immerhin höflich
Applaus. Mehr geben die Emotionen einfach nicht her.
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