Am liebsten würden sie ihn gar nicht mehr gehen lassen. Ist grade so schön im Autohaus. Hier bei BMW, wo es an diesem besonderen Abend nicht um laute Motoren geht, sondern um Musik aus tiefster Seele, die durch die Ausstellungsräume schallt und das Bonner Publikum in Partystimmung versetzt. Mitten zwischen teuren Limousinen tanzen sie, enthemmt und begeistert, sich fallen lassend in die Euphorie. Alles dank Max Mutzke. Der 35-Jährige mit der Wahnsinnsstimme ist im Rahmen des neuen Festivals Rheinhoch7, das zwischen Düsseldorf und Koblenz große Künstler an ungewöhnlichen Orten präsentiert, in die Bundesstadt gekommen und braucht nur Sekunden, um selbst scheinbar konservative Anzugträger zum Grooven zu kriegen.
Dabei ist die Besetzung an diesem Abend ebenso speziell wie die Spielstätte: Statt einer regulären Band wird Mutzke von Mikis Takeover! Ensemble begleitet, einem Streichquintett unter der Leitung
des ersten Konzertmeisters der Bergischen Symphoniker, Mihalj Kekenj. „Wir spielen vielleicht drei- bis viermal im Jahr zusammen“, gesteht dieser. „Und in den wenigen Proben zuvor machen wir
eigentlich in erster Linie Quatsch, weil es mit Max so unglaublich viel Spaß macht und wir einfach nicht anders können.“ Davon merkt man nichts. Also von dem Probenquatsch, dafür spielt das
Ensemble einfach zu sauber, präzise und leidenschaftlich. Die Entertainerqualitäten Mutzkes stehen hingegen außer Frage. Charmant gegenüber dem Publikum, augenzwinkernd kokett gegenüber Kekenj,
der öfters als Ziel schmachtender Zeilen herhalten muss und diese Zuneigungsbekundungen sehr zur Freude der Zuschauer huldvoll entgegennimmt. Herrlich.
Nicht nur freundschaftlich, auch musikalisch passen Mutzke und Kekenj hervorragend zusammen. Die exzellenten Streicher-Arrangements für Titel wie das melancholische „Durcheinander“ über die
Weltsicht von Menschen mit Depressionen oder für Klassiker wie „Schwarz auf Weiß“, den Mutzke einst für seine Frau schrieb und der im Tangogewand ebenso verführerisch wirkt wie als reine
Soul-Nummer, sorgen immer wieder für Aha-Momente. Das kenn ich doch. Oh, schön! Tatsächlich gilt dies für sämtliche Stücke, die an diesem Abend erklingen, ob sie nun Eigenkompositionen oder
Cover-Versionen sind. Radioheads „Creep“ klingt dank Cello-Unterstützung besonders intensiv, Aloe Blaccs „A Dollar Is What I Need“ treibend wie im Original – und Mutzkes „Welt Hinter Glas“ so
gefühlvoll wie eh und je. Lediglich die rhythmisch sehr verfremdete Version von „Billy Jean“ erscheint ein bisschen zu bemüht, ist mehr Enigma denn Energie.
Dafür feiern Mutzke und Mikis Takeover! Ensemble in Bonn auch eine Premiere: Erstmals spielen sie gemeinsam den Titel „Unsere Nacht“ live, einen Song, den Mutzke mit Blick auf die nach
Deutschland gekommenen Flüchtlinge und in der Hoffnung auf eine bunte und offene Gesellschaft geschrieben hat. Multikulti ist gescheitert? Nicht für das Quintett, und erst recht nicht für den
Sänger. Ein starkes Statement, für das Mutzke frenetisch bejubelt wird. Ohnehin kennt die Begeisterung des Publikums gegen Ende keine Grenzen mehr. Lauter und immer lauter feiert es ein Konzert
der Extraklasse. Das etwas sterile Ambiente ist längst vergessen, zumal die Akustik überraschend gut ist – und Max Mutzke wahrscheinlich selbst einen Kohlen- in einen Partykeller verwandeln
könnte. Zugabe um Zugabe wird gefordert, „It's A Man's World“ erklatscht, bis schließlich, nach zwei Stunden doch Schluss ist. Aber keine Angst: Mutzke kommt wieder. Am 3. September zum Beispiel.
Da trifft er in der Bonner Oper auf Thomas Quasthoff.
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