Was für ein Jubel! Ein ohrenbetäubendes Kreischen schallt über den KunstRasen, ausgestoßen von knapp 1500 Teenie-Kehlen. Das alles für zwei 17-Jährige, die an einem Sonntagnachmittag etwas verloren auf der großen und weitgehend kahlen Bühne stehen, sich aber megacool geben und mit einer Mischung aus Wannabe-HipHop und Seifenoper-Pop aus dem Songbaukasten anderthalb Stunden zu füllen versuchen? Tja, immerhin ist die Rede von den Lochis, die mit zwei Millionen Abonnenten bei Youtube zu den derzeit populärsten Internetstars des Landes zählen. Teenie-Idole der Generation O(nline), das der digitalen Sphäre entwachsene Äquivalent zu den Kaulitz-Zwillingen von Tokio Hotel.
Musikalische Qualität ist da ohnehin Nebensache, die Hormone bestimmen einen Großteil des Geschehens. Gehört wohl für viele irgendwie zur Pubertät dazu. Und auch wenn die meisten Erwachsenen in
verschiedenen Stadien der Fassungslosigkeit auf ihre ausflippenden Zöglinge schauen und sich fragen, was in Lemmys oder Freddies oder Jimis Namen da falsch gelaufen ist, lässt sich die
überbordende Begeisterung der jugendlichen Fans angesichts der fröhlichen Eskapaden der Zwillingsbrüder Roman und Heiko Lochmann nicht leugnen. Die Kids befinden sich gerade im siebten Himmel.
Wie viel Luft da noch nach oben ist, ist denen eigentlich völlig egal.
Dabei kann man den Lochis noch nicht einmal einen Vorwurf machen. Gut, der Sound lässt vermuten, dass die Zwillinge entgegen früherer Behauptungen vielleicht doch mit einer Art Playback
auftreten, aber ansonsten bemühen sich die beiden redlich, auf ihrer zweiten Tour und kurz vor Veröffentlichung ihres Debütalbums „#zwilling“ eine gute Show abzuliefern. Die leichtgängigen
Popsongs, bei denen der Einfluss von Panda-Rapper Cro immer wieder spürbar ist, treffen den Nerv der Heranwachsenden, sprechen ihre Sprache, kommen schließlich aus ihrer Mitte. „Durchgehend
Online“ oder „Ich bin blank“ heißen die Titel, belanglose, aber auch harmlose Songs mit größtmöglicher Massenkompatibilität und wenig Tiefgang. Ausfallend werden die Lochis nur bei „Halt deine
Schnauze, Digga“ – im Vergleich zu dem, was Teenager aus der Rap-Szene entgegenschallt, ist dies allerdings fraglos extrem brav. Ohnehin geht es den 17-Jährigen, die inzwischen ihr Fachabitur in
der Tasche haben, nicht um Provokation, sondern um Spaß. Um Party für und mit den Fans. Also werden in regelmäßigen Abständen die Nebel-Kanonen angeworfen und das Publikum mit viel Dampf zum
Jubeln animiert. Wofür? Für alles mögliche. Für den DJ, der die Konservenmusik steuert, für den Mikrofonständer, sogar für die arme Wasserflasche, die Heiko irgendwann auf Drängen seines Bruders
und des Schwarms vor der Bühne auf Ex leeren muss. Wie gut, dass keiner auf den Gedanken kommen könnte, das mit anderen Flüssigkeiten nachzuahmen. Mit Milch zum Beispiel.
Letztlich liefern die Lochis das, was ihre Fans von ihnen erwarten. Anderthalb Stunden sorgen sie mit ihren Songs (immerhin weitgehend Eigenkompositionen) für Stimmung und wirken dabei auf jeden
Fall authentischer als Meltem Acikgöz, die im Vorprogramm mit breitem Honigkuchengrinsen Stücke wie „Lieblingsmensch“ oder „Geile Zeit“ mehr schlecht als recht covert und letztlich nicht viel
mehr macht als zahllose Karaoke-Sängerinnen, nur ohne Alkohol. Star zu sein bedarf es mittlerweile wirklich wenig. Dann doch lieber die Lochis. Und wer weiß, vielleicht halten sie sich ja im
Musikgeschäft. So wie die Kaulitz-Zwillinge. Äh, ja...
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