„Die Gedanken sind frei, wer kann sie verraten“ – eigentlich nur eine rhetorische Frage. Eigentlich. Doch Konstantin Wecker fallen da einige ein. Geheimdienste, Politiker, Konzerne, Medien, alle nur darauf bedacht, den Menschen auszuschlachten und selbst mit seinem Innersten noch Profit zu machen. Damit muss Schluss sein, fordert der große Liedermacher schon seit Jahren. Auf dem Bonner KunstRasen gibt er nun den knapp 2000 Besuchern erneut die Marschrichtung vor: „Empört euch“, singt er, und „Sage Nein!“ Nein zu Rassismus und Fremdenhass, Nein zu Terror und Gewalt, Nein zu verlogener Politik, gierigen Konzernen und Angriffen auf die Menschenrechte.
Es ist ein Aufruf zu einer Revolution, den Wecker von sich gibt. Einer, die „nicht gewaltvoll ist, aber gewaltig an Ideen“. Ein frommer Wunsch. Und ein bisschen illusorisch. Doch Wecker, der
romantische Träumer, glaubt trotz allem eben noch an das Gute im Menschen und bäumt sich gerade deswegen gegen Hass und Ungerechtigkeit in jeder Form auf. Er, der schon immer zu den
gesellschaftskritischsten Liedermachern Deutschlands gehörte und noch nie ein Blatt vor den Mund nahm, der schon immer Stellung bezog und Haltung zeigte, will seine Zuhörer aufrütteln, will ihnen
Mut zusprechen, damit sie toben, zürnen und sich einmischen. Auf einen Aufstand hofft er, wenn auch auf einen, bei dem mit dem Herzen gedacht wird und nicht mit dem Ego oder Brieftasche. Und
Wecker, selbst bekennender Pazifist und zugleich Anarchist im besten Sinne (für ihn stehen Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung der Individuen und kollektive
Selbstverwaltung im Mittelpunkt des Denkens), würde dabei vorneweg marschieren und zwecks Abrechnung mit Menschen wie AfD-Rechtsaußen Björn Höcke weiter scharfe, von ihm gedichtete Höckericks
vortragen.
Die treibende Kraft hinter diesem Verlangen ist eine Mischung aus Wut und Zärtlichkeit. Dass er immer noch gegen Faschisten und Nazis ansingen muss, enttäuscht Wecker. Zu Beginn seines Bonner
Open-Air-Konzerts greift er ganz bewusst auf zwei seiner alten Songs zurück, um zu zeigen, dass sie immer noch aktuell sind. Und ja – die Sprache mag sich in fast 40 Jahren verändert haben, der
Vater wird längst Opa sein, doch der Kern von „Vaterland“, dieses wütend-besorgte Zittern angesichts der erstarkten rechten Gewalt, hat bis heute nichts von seiner Brisanz verloren. Schon
bedenklich. Und für Wecker schmerzhaft. Denn statt Protestsongs will der 69-Jährige eigentlich viel lieber einer friedlichen Gesellschaft Liebeslieder singen. Was er auf dem KunstRasen dann im
Laufe seines Drei-Stunden-Konzerts auch immer wieder tut. Dabei schießt er zwar mitunter ein wenig übers Ziel hinaus, wird manchmal ein wenig zu schwülstig, schmalzig und sogar albern, trifft
aber andererseits mit Titeln wie „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ genau den richtigen Ton.
Unterstützung erhält Wecker von den Multiinstrumentalisten Fanny Kammerlander, Jo Barnikel, Jens Fischer und Wolfgang Gleixner, die mal mit ihren Smartphones, glücklicherweise meist aber mit
Cello, Bass, Gitarre, Klavier, Schlagzeug und ähnlichem für ein vielseitiges Klangfundament sorgen. Rock trifft auf Latin-Rhythmen, Jazz auf Schlager. Machbar ist alles. Gut auch, vielleicht
abgesehen von den besagten überzogenen Schnulzen. Neben Hits wie „Sage Nein“ überzeugt dabei vor allem Weckers Vertonung von Georg Heyms Gedicht „Der Krieg“, ein eindringliches Gänsehaut-Erlebnis
mit sprachlicher und musikalischer Wucht. Das Publikum ist denn auch begeistert, erklatscht sich während des dreistündigen Konzerts mehrere Zugaben – und hat am Ende vielleicht selbst ein
bisschen Wut und Zärtlichkeit in sich, einen Funken jener Revolution, auf die Wecker noch immer hofft.
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