Tanzen kann etwas unglaublich Sinnliches sein. Oder etwas unglaublich Obszönes. Wie sehr dabei das Geschlecht des Tanzenden eine Rolle spielt, hat am Freitag der Choreograph Radhouane El Meddeb gezeigt, der in „Au temps où les Arabes dansaient...“ vier Männer auf die Bühne schickt und ihnen eine Mischung aus Beckenbodengyroskopie und lasziven Bewegungen auf den Leib schreibt, die sich mal als ordinäres Twerking entpuppt und mal als orientalischer Bauchtanz. Alles dreht sich um die Körpermitte, um die schwingenden Lenden, kreisend, stoßend, zitternd. Eine beständige Provokation – und doch, wenn da jetzt Frauen tanzen würden, wären die Reaktionen wahrscheinlich andere. Genau damit spielen El Meddeb und die Compagnie de SOI. Ein spannender Ansatz, der aber mitunter leider unter einem radikalen Minimalismus leidet.
Häufig, zu häufig tanzen die vier Männer zu einer unhörbaren Musik, zappeln in der bedrückenden Stille, immer wieder die selben Muster wiederholend und nur minimal verändernd – und vor allem bewusst hart und abrupt. Ein Zerrbild, ohne fließende Bewegungen und weiche Eleganz. Dieser Tanz ist mehr Qual als Freude, ist aufgezwungen, nicht ehrlich. Selbst wenn es El Meddeb nur um dessen Sexualisierung ginge, wäre dies vor allem in der dargebotenen Penetranz zu viel – dem im Programm genannten Aufräumen von Klischees und dem erneuten Öffnen des arabischen Tanzes für Männer steht der gekünstelte Hüftschwung ab einem gewissen Zeitpunkt eher im Weg, als dass es diesen bereitet. Erst gegen Ende der 60-minütigen Darbietung, nach einer inhaltlich aufgeladenen Verschleierungs- und Henkersszene sowie einem fast schon animalischen Antanzen gelingt es der Compagnie schließlich, sich von diesem Joch zu befreien und endlich etwas natürlicher aufzutreten. Jetzt erst ist der Tanz da, wo er sein kann. In der Freiheit. Jetzt ergibt es auch Sinn, wenn ein Gebetsteppich in die Darbietung mit einbezogen wird, während die Männer es den Derwischen gleichtun und Gott im Tanze huldigen oder sich einfach fallen lassen. Auch das gehört schließlich zum Tanz dazu. Schade, dass diese Befreiung erst so spät kommt. Andererseits: Besser spät als nie.
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