Die Gedanken sind frei, und er kann sie erraten: Vor Nicolai Friedrich sind fast keine Geheimnisse sicher. Geburtstage, Lieblingsstädte und PIN-Nummern sind für den Mentalmagier, der zu den besten seines Fachs zählt, ein Kinderspiel – und notfalls hilft er mit ein wenig Suggestion und mindestens ebenso viel Psychologie nach, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Mit übersinnlichen Fähigkeiten hat dies nichts zu tun, betont der 39-Jährige immer wieder, und doch können sich die Besucher im Brückenforum dieser Vermutung nicht ganz erwehren. Denn so ganz geheuer scheint es nicht zu sein, wenn Friedrich die vom Publikum erdachten Lottozahlen vorhergesagt hat oder drei Freiwillige nach Betrachten eines Rohrschacht-Tests irgendwie dazu bringt, so auf Folien herumzukritzeln, dass diese übereinandergelegt eine Skizze des Eiffelturms zeigen. Ominös. Und das ist nur die Hälfte der Zaubershow.
Tatsächlich erweist sich der Charmeur, der es nur an wenigen Stellen ein wenig mit seinem Sonnyboy-Image übertreibt, nicht nur als begnadeter Mentalist, sondern auch als exzellenter Illusionist.
Vor allem die zweite Hälfte des Abends hat es in sich: So lässt Friedrich eine gezeichnete Bowlingkugel in die Realität fallen, zerreißt die „Zeit“, nur um sie samt eines zu Boden gefallenen
Fetzens auf wundersame Weise wieder zusammenzusetzen, tanzt mit einem Tischlein und verwandelt mit Hilfe eines magischen Shakers Wasser wahlweise in Wein, Pina Colada, Jägermeister oder Bier.
„Wenn ich auf der Bühne stehe, wird die Zauberei zu meiner Wirklichkeit“, gesteht er denn auch. In diesen Momenten gelingt es ihm eben, der Realität ein Schippchen zu schlagen und sie zumindest
scheinbar auszutricksen. Nicht zuletzt weil das Publikum genau das erwartet. „Für uns Magier ist es erschreckend einfach, Sie zu täuschen“, sagt Friedrich – und bringt kurzerhand die kleine
Amelie dazu, einen Stein für einen Schwamm zu halten und nur durch Schwingungen verborgene Gegenstände von Fremden zu identifizieren. Weil sie es will. Und er es kann.
Allerdings ist es auch schwer, jemandem zu widerstehen, der 2009 in Peking zum Weltmeister der Mentalmagie gekürt wurde und schon zuvor David Copperfield so begeistert hatte, dass dieser ihm
einen Trick abkaufte. Der amerikanische Meistermagier hatte im Fernsehen gesehen, wie Friedrich eine Zuschauerin aus 1500 Puzzle-Teilen genau jenes herausnehmen ließ, das die Mona Lisa
vervollständigen konnte – eine Nummer, die der gebürtige Friedrichsdorfer mit 17 Jahren selbst entwarf und die er in einer modifizierten Version auch im Brückenforum zeigt. Doch zu diesem
Zeitpunkt glaubt im Saal ohnehin schon jeder, dass der 39-Jährige ohnehin fast alles vermag. Na ja, bis auf die Teleportation. Aber vielleicht kommt das ja noch. Immerhin ist Friedrich weiterhin
fröhlich dabei, neue Kunststücke zu erschaffen, die in der Regel da ansetzen, „wo jemand an seine Grenzen stößt und denkt, jetzt müsste ich Schnipp machen können“, wie er erst neulich in einem
Interview bekannte. Die aktuelle Show bietet dafür mehr als genug Beispiele. Einmal Schnipp, und alles ist anders. Wenn es doch nur so einfach wäre. Das Publikum dürfte Friedrich auf jeden Fall
neidisch gemacht haben – auf jeden Fall hat er es begeistert, wie der tosende Applaus beweist. Zu Recht. So eine beeindruckende Zaubershow, die zudem ganz ohne große Aufbauten auskommt, sieht man
nur selten. Für viele wird es somit im wahrsten Sinne des Wortes ein magischer Abend gewesen sein, der den Blick auf die Realität verändert. Womit Friedrich sein Ziel erreicht hat. „Glauben Sie
an das Unmögliche, um das Mögliche zu erreichen“, hat er einmal gesagt. Das sollte jetzt einfacher geworden sein. Zumindest ein bisschen.
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