Ein bisschen Nostalgie darf schon sein an diesem Abend. Muss sogar. Immerhin verabschiedet sich gerade ein Mann, der allein mit seiner Gitarre und seinen mitunter bissigen und dann wieder überaus zärtlichen Liedern Generationen geprägt hat. Nach mehr als 50 Jahren als beständig wandernder Barde will sich Hannes Wader 2018 endgültig von der Bühne zurückziehen, will nicht länger so leben wie es sein berühmtestes Lied „Heute Hier, Morgen Dort“ andeutet. Doch an einer letzten Tour kommt auch er nicht vorbei. Und so steht er nun im bis auf den letzten Platz gefüllten Brückenforum, ein in Würde ergrauter Mahner und Romantiker zugleich, einer der ganz Großen seiner Zunft, um einmal mehr seine Stimme zu erheben und die Welt vielleicht nicht besser, aber zumindest schöner zu machen.
Ohne einen konkreten roten Faden reiht Wader einen Klassiker an den nächsten. „Begegnungen“ ist mit dabei, das dritte Lied aus seiner Feder, wie er selbst sagt, dessen letzte Strophe er
kurzerhand noch einmal in der französischen Übersetzung seines Freundes und Kollegen Reinhard Mey darbot – ganz so wie zu seiner Anfangszeit um 1967, als die beiden gemeinsam durch die Kneipen
zogen und ihr Repertoire mit dieser Methode streckten. Auch das autobiographische „Wo ich herkomme“ stimmt Wader an, seine Verbundenheit mit der Arbeiterklasse ausdrückend, aus der er selbst
entstammt und für die er sich immer wieder eingesetzt hat. Allerdings verzichtet er weiterhin auf die wirklich gesellschaftskritischen Titel, auf die „Arschkriecher-Ballade“, den „Tankerkönig“
oder den „Rattenfänger“; lediglich mit „Trotz Alledem“ setzt Wader ein Zeichen und lässt seine Vergangenheit als politisch sehr aktiver Rebell durchscheinen.
Nicht fehlen dürfen die alten Volksweisen und international bekannten Folksongs, die er wie kaum ein anderer deutscher Künstler gepflegt hat. Weit geht er zurück, stimmt „Das Bürgerlied“ von 1848
an und später, mit deutlichem Augenzwinkern, Carl Michael Bellmans „Schau wie die Nacht unsere Schatten verschlingt“ mit der für den schwedischen Rokoko-Komponisten üblichen Trias aus Liebe,
Schnaps und Tod. Daneben Stücke, die jeder im Saal auswendig mitsingen kann und die für Wader eine besondere Bedeutung haben: Mit Liedern wie „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ wuchs er einst auf,
mit dem vom gesamten Saal gesungenen Pete-Seegers-Klassiker „Sag mir wo die Blumen sind“ hat er sich sozialisiert, mit den „Moorsoldaten“ seinerseits zahllose Menschen geprägt. Letzteres, so
erinnert er sich, hat er vor zehn Jahren zusammen mit dem letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Börgermoor gesungen – ein Zeichen gegen das Vergessen, das nicht oft genug gesetzt werden
kann.
Etwa zweieinhalb Stunden hält Wader durch. Eine beachtliche Leistung, auch wenn das Spiel des 74-Jährigen immer wieder für Sekundenbruchteile hakt, weil der Gesang und die anspruchsvollen
Pickings nicht mehr so ganz zusammen sind. Kann passieren. „Eine kleine Unschärfe muss bleiben, das klingt interessanter“, sagt Wader einmal mit Blick auf eine nicht hundertprozentig gestimmte
Gitarre – ein Ausspruch, der auch weiter gefasst werden kann. Das Publikum stört es ohnehin nicht, genießt den Abend und bedauert um so mehr den Rückzug eines der größten deutschen Liedermacher.
„Ich war immer gern hier bei euch“, sagt dieser zum Ende des Konzerts. Mehr allerdings nicht. Einfach Schluss. Keine Begründung, keine Erklärung. Oder doch? „Bin auf meinem Weg, schon so lang“,
singt Wader als erste Zugabe. Vielleicht ist es einfach an der Zeit, auch wenn Hannes Wader ohne Zweifel fehlen wird. Doch seine Lieder, die werden bleiben.
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