Eskalation sieht anders aus. Wilder. Ungehemmter. Ohne Detox-Partys und Smoothie-Rezepte, dafür mit der Quadratur von Sex, Drugs und Rock 'n' Roll. Ekstase bis zum Exzess – nicht weniger hatte man vom zweiten Programm des Musikkabarett-Duos Suchtpotenzial erwartet. Immerhin haben Pianistin Ariane Müller und Sängerin Julia Gámez Martin sowohl beim Prix Pantheon 2015 als auch mit ihrem „Alkopop“-Debüt die Messlatte extrem hoch angesetzt und mit ihrem bissigen, pointierten, frischen und vor allem vielseitigen Stil für euphorische Reaktionen gesorgt. Doch bei ihrem jetzigen Auftritt im Pantheon wirkt die tonale Droge längst nicht mehr so gut wie beim ersten Schuss. Statt dem direkten Trip in die Sphären der feinsinnigen Komik bietet „Eskalatiooon“ nur gelegentliche Glücksmomente. Und dafür so einiges Kater-Potenzial.
Zugegeben, die stimmlichen Qualitäten von Julia Gámez Martin und das souveräne Klavierspiel von Ariane Müller sind immer noch exzellent. Und wenn erstere das Veggie-Day-Lied ihrer Kollegin zunächst bemüht lächelnd mitträgt, dann aber ihrem Mett-Tourette freien Lauf lässt und dabei zu einer fleischeslustigen Mischung aus Ozzy Osborne und Till Lindemann mutiert, bleibt kein Auge trocken. Doch dieses Niveau ist leider keine Konstante. Immer wieder rutschen die beiden in eine Art Carolin-Kebekus-Humor, ohne dabei die nötige Wucht mitzubringen, überbringen gesungene Tripper-Nachrichten im Honky-Tonk-Stil, wollen mit Penis-Einwürfen und Hupen-Gags für Aufsehen sorgen und lassen doch weder Provokation noch Eskalation erkennen. In diesen Passagen stimmen weder Pointen noch Tempo – und erst recht keine Konsequenz. In einem Hohelied auf die gute alte Zeit, als Kommunen noch die Freiheit hochhielten und insgesamt mehr Lametta war, relativieren Suchtpotenzial am Ende doch wieder alles, während ein angeblich perfekter Fernsehsong auf halbem Wege stehenbleibt. Auch die Moderationen sitzen noch nicht und ziehen den Abend mitunter wie Kaugummi.
Dabei könnte alles so großartig sein. Immer wieder kommen Suchtpotenzial mit brillanten Ideen daher, vor allem nach der Pause: Herrlich, wie Julia im Prinzessinnenkleid Disney für die romantisierenden und illusorischen Liebes-Darstellungen in die Verantwortung nimmt und die Filme als Pornos für Kinder anprangert (entsprechende Adaptionen von „Schneeflittchen“ bis hin zu „Aladdin und die Wunderschlampe“ folgen natürlich auf dem Fuße). Und wenn sich hinter einer schnulzigen Schlagernummer eine tiefschwarze Psychpathinnen-Beichte versteckt – ohne Zweifel die beste Nummer des Abends –, zeigt das Duo nachdrücklich, warum sie vor zwei Jahren den Publikumspreis des Prix Pantheon mehr als verdient hatten. Doch die im Titel versprochene Extremstufe, die Steigerung der „100 Prozent Alko-Pop“ hin zum totalen Rausch braucht mehr als das. Eine wilde Rave-Nummer mit Megafon und zuckenden Lichtern reicht da nicht aus. Das spürt auch das Publikum, dass sich zwar begeistert zeigt, jedoch längst nicht so ausflippt, wie Suchtpotenzial es eigentlich gerne hätte. Keine zappelnden Leiber, kein dionysischer Ritus. Der Saal feiert die beiden Musikerinnen – aber es eskaliert eben nicht. Dafür müssen Julia und Ariane (die sich ohnehin viel zu sehr zurückhält) noch ein bisschen mehr tun. Das Potenzial dafür haben sie. Jetzt gilt es, das auch auszuschöpfen.
Kommentar schreiben