Schön reduziert soll alles sein. Akustisch statt elektrisch. Samt und Seide statt Lack und Leder. Julia Neigel, die in der Vergangenheit gerne mal als „die beste deutsche Sängerin“ oder einfach nur als „The Voice“ tituliert worden ist, will auf ihrer aktuellen Unplugged-Tour ruhiger wirken, sensibler, sanfter, will mit dem Publikum ganz intime Momente erleben und die Rockröhre zu Hause lassen. So auch in der Harmonie, wo das Konzept allerdings nur zum Teil aufgeht. Denn obwohl ihre Stimme nichts von ihrer Klasse verloren und sogar noch einen rauen Ton gewonnen hat, ist die 50-Jährige für Schlager nicht die Richtige. Und für Chansons erst recht nicht.
Es hat seinen Grund, warum Julia Neigel auch nach dem Ablegen ihres Kosenamens Jule in erster Linie als Powerfrau bekannt ist und weniger als Singer-Songwriterin. Ja, sie hat auch starke Stücke
geschrieben, etwa „Schatten an der Wand“, doch zumindest an diesem Abend kommt textlich offenbar eher die C-Ware zum Einsatz. „Ich bin da“ strotzt vor Offensichtlichkeit, das für Peter Maffay
geschaffene „Freiheit die ich meine“ vor Pathos und „Weil ich dich liebe“ mit der Titelzeile in Dauerschleife vor lyrischem Minimalismus. Normalerweise würde nun eine rockende Band diese seichten
Verse zumindest ansatzweise übertünchen – doch die hat Neigel zu Hause gelassen. Lediglich Keyboarder Simon Nicholls an den Keyboards (soviel übrigens zur Unplugged- beziehungsweise Akustik-Tour)
und Gitarrist Dennis Hormes stützen die charismatische Sängerin, die so leider immer wieder in die Nähe des massentauglichen, aber auch überschaubaren Schlagers rutscht. Es ist bezeichnend, dass
vor allem in der ersten Hälfte die Höhepunkte in den Cover-Nummern liegen: Vor allem Tom Pettys „Into The Great Wide Open“ klingt stark, nach der Pause setzt sie mit dem herrlichen Blues „Love Of
A Woman“ diesen Trend fort. Richtig bitter wird es übrigens, wenn sich die Neigel an „Lilly Marleen“ und Für mich soll's rote Rosen regnen“ versucht und dabei die an sich wunderbaren Chansons
genüsslich durch die stimmliche Fritteuse zieht, bis sie vor Schmalz nur so tropfen. Damit wird man weder der Knef noch der Dietrich auch nur ansatzweise gerecht.
Dem Publikum sind derartige Eskapaden allerdings völlig egal. Schon zu Beginn des Konzerts feiert es die Heldin ihrer Jugend – zwei Herren starten sogar eine Art Wettstreit, wer die Dame im
Leder-Baströckchen am meisten liebt, was die Angebetete tatsächlich zu Tränen rührt. Viele Fans haben für dieses Konzert hunderte Kilometer zurückgelegt, sind extra aus Ludwigshafen oder aus
Belgien gekommen und lassen sich ihre Begeisterung nicht nehmen. Und wenn man einmal vom Schlager-Duktus und dem Chanson-Schmalz absieht, liefert Julia Neigel ja auch ab. Stimmlich ist sie in
Topform, jeder Ton sitzt perfekt, und auch die Verbindung zur enthusiastisch auf den Stühlen sitzenden Menge steht. Immer wieder schreitet sie die Bühne ab, bemüht sich, jeden wahrzunehmen,
schüttelt Hände, winkt den weiter Entfernten zu und schafft so eine bemerkenswerte Nähe. So wird zumindest für die Fans alles andere zur Nebensache. Fröhlich wird mitgesungen, pflichtschuldig
gejubelt und natürlich ehrfurchtsvoll gemurmelt, wenn Neigel von dem Treffen mit Gitarrenlegende Paco de Lucia erzählt (der hat einst bei „Paradies“ das Solo eingespielt) oder sie in mäßigem
Italienisch Zuccheros „Il Volo“ anstimmt. Klingt südländisch, wird also schon stimmen. Doch letztlich übernimmt sich Julia Neigel mehrfach, hier wie auch während des gesamten Abends. Textlich,
sprachlich, stilistisch offenbaren sich so einige Schwächen, die eigentlich nicht sein müssten. Also lieber weiter beim Rock bleiben. Der überdeckt genug.
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