Die Szenerie könnte glatt aus einem Jason-Borne-Thriller stammen: Auf den ägyptisch-stämmigen Grünen-Politiker Lutfi Latif wird während einer Fernsehsendung ein brutaler Sprengstoffanschlag verübt, das kurze Zeit später die Terrororganisation Al-Quaida für sich in Anspruch nimmt. Prompt beginnen im Land die üblichen Ressentiments wieder hochzukochen, werden Muslime unter Generalverdacht gestellt. Doch hat das Attentat wirklich einen islamistischen Hintergrund? Oder stecken vielleicht doch perfide Pläne einer rechtsradikalen Gruppierung dahinter? Diese Fragen wirft der deutsche Autor und Journalist Yassin Musharabash in seinem Roman „Radikal“ auf, den Regisseurin Mirja Biel jetzt auf der Werkstattbühne des Theater Bonn inszeniert hat – und sich den Antworten lieber diskursiv nähert.
Tatsächlich bleibt die Handlung weitgehend auf der Strecke, ist nur Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung des Ensembles mit den gesellschaftlichen Problemen, die im Roman angedeutet werden.
Es geht um Fragen der Identität und der Heimatverbundenheit, um das Gefühl, fremd zu sein im eigenen Land, um die Bedeutung von Religion für eine Gesellschaft und für einen selbst, um
Sicherheitswahn und Voreingenommenheit. Und um Radikalität und Extremismus, der in der Wahl seiner Mittel und der Art seiner Sprache letztlich keine Unterscheidungen mehr zwischen links oder
rechts mehr macht, sich um Nationalitäten schert oder um Glauben, sondern vielmehr im Wunsch segregierten Welt geeint ist. Genau darauf legt Mushabarash es ja an: Während sich die Medien völlig
auf das Bekennerschreiben der Al-Quiada fokussieren, folgt Islamexperte Samuel Sonntag (Daniel Gawlowski) zusammen mit Latifs Assistentin Sumaya (Katharina Hackhausen), ihrem Cousin Fadi (Alois
Reinhardt) und der Journalistin Merle (Lena Geyer) der anderen Spur und trifft auf das Kommando Karl Martell, das durch den Anschlag die Spannungen im Volk vertiefen und so die muslimischen
Mitbürger ausgrenzen will. Ein Ansatz, der gar nicht so fiktional sein muss, wie der zuletzt aufgedeckte Fall um den Bundeswehrsoldaten Franco A bewiesen hat, der sich als Flüchtling ausgegeben
hat und offenbar heimlich einen Anschlag plante.
Statt all dies auszuspielen und auf die Bühne zu bringen, wählt das Bonner Ensemble einen anderen Weg: den des Diskurses. Schon in den Sprechakten wird dies deutlich, lösen die Schauspieler doch
konsequent jegliche Bühnenillusion auf, sprechen gerne mal in der dritten Person über ihre Rolle oder steigen aus dieser gar vollständig aus, um eigene Positionen offenzulegen. Dass dabei
zwangsläufig einiges zu kurz kommen muss, liegt in der Natur der Sache; bedauerlich ist allerdings, dass die ebenfalls anklingende Medienkritik mit den üblichen Manipulationsvorwürfen derart
klischeehaft und plakativ abgehandelt wird, dass von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema keine Rede sein kann. Ein Investigativ-Team wird kurzerhand zu abgewrackten Clowns
degradiert, Journalistin Merle selbst bleibt farblos – hier hätte man mehr erwarten können. Immerhin gelingt es Biel und ihren Mitstreitern dafür, die menschliche Ebene in emotionalen Momenten
aufzugreifen, vor allem bei der Palästinenserin Sumaya, die so manche Anfeindungen in sich hineinfrisst, und ihrem Cousin Fadi, der sich deswegen zunehmend radikalisiert.
Um die komplexen Debatten weiter aufzuladen, greift das Stück zudem auf eine wahre Zeichenflut zurück. Überall prangern Symbole, lauern Bilder. Doch gerade diese verweigern sich einem Diskurs,
zumal sie mitunter schlichtweg bis zum Exzess ausgereizt werden. Vor allem eine Aneinanderreihung heroischer Posen irgendwo zwischen Spartaner-Verklärung und Walküren-Verehrung, die die Ideologie
des Kommandos Karl Martell widerspiegeln soll, wird unnötig in die Länge gezogen und zieht die Bedrohung vom rechten Rand so in die Lächerlichkeit – und gerade so sollte sie mit Sicherheit nicht
gesehen werden. Für eine Relativierung fehlt derweil angesichts von gerade einmal 90 Minuten Spieldauer die Zeit. So bleibt „Radikal“ seltsam unbefriedigend und hinterlässt den Eindruck, dass
sich das Theater trotz einiger guter Ansätze und starker Bilder letztlich ein wenig zu viel vorgenommen hat.
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