Mehr Jazz geht wirklich nicht mehr: Nach 21 Konzerten (zehn Doppel- und einem Solo-Konzert) und mehr als 6000 seligen Besuchern ist das Bonner Jazzfest 2017 am vergangenen Samstag zu einem umjubelten Abschluss gekommen. In der Bundeskunsthalle entfesselte das Team um Intendant Peter Materna einen norwegischen Abend der Extraklasse, der keine Wünsche offen ließ, ebenso lyrisch wie komplex war und zwei junge aufregende Künstler präsentierte, die die Zukunft des Jazz maßgeblich mitbestimmen dürften. Auf der einen Seite der intelligente Singer-Songwriter-Jazz der 28-jährigen Bassistin Ellen Andrea Wang, auf der anderen das einzigartige, facettenreiche Saxofonspiel des 1985 geborenen Marius Neset, das modernde Klänge ebenso mit einbezog wie charmante Melodielinien.
Neset ist ein Zauberer höchsten Ranges, ein Meister seines Instruments, das er zu führen vermag wie nur ganz wenige andere. Mühelos kann er in der einen Sekunde ganz zart und gefühlvoll spielen,
nur um in der nächsten zu explodieren, sich in die höchsten Kronen der Dynamik hinaufzuschwingen und seiner wilden Seite freien Lauf zu lassen. Diese Unbeständigkeit des ständig Haken schlagenden
Energiebündels ist ohne Zweifel eine Herausforderung für das Publikum – aber eine, die dieses am Samstag in der Bundeskunsthalle nur allzu gerne annahm. Denn kein Ausbruch war von Dauer, das
scheinbare Chaos nur der Ausgangspunkt für eine Rückkehr in die geordneteren Gefilde. Es war ein beständiges Auf und Ab, ein wilder Ritt durch Klang-Collagen, die vom Modern Jazz über den Rock
bis hin zu einem sanften, unglaublich intensiven Solo so ziemlich alles umfassten, ohne dass sich das exzellente Quartett des 32-Jährigen dabei übernahm.
Zuvor hatte Ellen Andrea Wang mit einem klareren, organischeren Auftritt für Aufsehen gesorgt. Die sympathische junge Frau, die unter anderem bei Manu Katché für die Bassklänge sorgt und jetzt
auch als Sängerin überzeugte, holte mit ihren herrlichen Liedern den hohen Norden ins sommerliche Bonn. Mal ließ sie im melancholisch anmutenden „Fjord Ferry“ ihre Kindheit Revue passieren, dann
wieder besann sie sich auf atmosphärische Konstruktionen wie das ätherische „Air“, das an einigen Stellen an das Kratzen auf Eis und Glas erinnerte und doch beim Publikum einen Nerv traf.
Insgesamt dürfte Peter Materna mit dem diesjährigen Jazzfest mehr als zufrieden sein. Trotz einer Ausdehnung der Konzerte waren fast alle Veranstaltungen schon Wochen vorher restlos ausverkauft,
und die Reaktionen von Besuchern und Künstlern sprechen ohnehin eine eindeutige Sprache. Neben dem phänomenalen Auftritt von Brad Mehldau in der Oper (die RZ berichtete) fanden sich noch
zahlreiche weitere Höhepunkte im Rahmen des Festivals, und zwar nicht nur bei den bereits etablierten Namen. Klar, Bassist John Patitucci sorge ebenso für Begeisterung wie Rebekka Bakken oder
eben Marius Neset, doch auch die Band Organic Underground oder das großartige Trio von Adele-Pianist Neil Cowley animierten mit rockigem Impetus und herausragenden Arrangements das Publikum zu
Jubelstürmen. Ebenfalls unglaublich war der wunderschöne Auftritt von Rita Marcotulli, einer Traumweberin am Klavier, die zusammen mit dem Akkordeonisten Luciano Biondini pastellfarbene Bilder
fürs Kopfkino schuf. Dazu hochkomplexe Klänge etwa von DRA oder Niels Klein, weitere populäre Sängerinnen wie Jasmin Tabatabai und Viktoria Tolstoy, virtuose Pianisten wie Omer Klein – die
Jazzfans standen Kopf. Und können sich freuen: Im nächsten Jahr wird es weitergehen. Was will man mehr?
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