Ein Autor? Wird überbewertet. Zumindest wenn es nach den Figuren geht, die auf der Probebühne 1 des Bonner Opernhauses ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, aus ihren Rollenvorgaben ausbrechen und sich kurzerhand selbst fertigschreiben. Keine fremde Hand bestimmt mehr ihr Handeln, kein fremder Kopf ihr Sein. Nur noch sie zählen. Ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse, ihre Ziele. Diesen Abnabelungsprozess hat Theaterpädagogin Inga Waizenegger zusammen mit der einen Hälfte des Jugendclubs des Theaters Bonn unter dem Titel „Ein Stück von mir“ nun auf die Bühne gebracht – und damit eine kompakte, vielschichtige Inszenierung geschaffen, die künstlerischen Schöpfungsprozess und jugendliche Emanzipation gleichermaßen reflektiert.
Angelehnt an Luigi Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“ tauchen auch in der Bonner Produktion der so genannten Sparte 4 verschiedene Theaterfiguren auf, die einfach mehr vom Leben
wollen. Unfertig sind sie, nur Skizzen und Hüllen: Eine besteht lediglich aus einer winkenden Handbewegung, eine andere hat außer guter Laune nichts zu bieten, eine dritte ist trotz ihrer Energie
ziellos. Doch der Autor, der irgendwann auf dieses Halbleben trifft, zeigt kein Interesse. Alles nur Randfiguren und eindimensionale Charaktere, die ihn langweilen. Ja, er könnte sie
vervollständigen, könnte sie formen und vervollständigen – doch für derartige Ausarbeitungen fehlen ihm Muße und Muse. Stattdessen sucht er nach der einen, die sich ihm von Anfang an verweigert,
einem Freigeist, der sich nicht in ein Korsett zwängen lässt, der störrisch ist und gerade dadurch die Kreativität des Schreibenden anregt. Nur dass diese umtriebige Gestalt kurzerhand eine
Rebellion der Figuren anzettelt, ihnen einen Ausweg zeigt und so den Autor entmachtet.
Waizenegger hat diesen philosophischen Stoff über das Ausbrechen aus Regeln und Erwartungen überaus geschickt inszeniert. Die von Mädchen und jungen Frauen gespielten Figuren verharren in Kästen,
die zwar fröhlich hin und her geschoben werden können, ihren Bewohnern ansonsten aber wie ein Gefängnis vorkommen müssen. Erst als sie den Schritt in die Freiheit wagen und die Holzgerüste
umstürzen, können sie sich wirklich bewegen. Was sie denn auch ausgiebig tun. Ohnehin strotzt das Stück vor Körperlichkeit, fordert ein ständiges Klettern und Rennen, nicht zuletzt von dem auf
einem Hochsitz residierenden Autor. Doch auch der Freigeist ist überaus rege – und gibt mit einem Zitat von Henry David Thoreau, dass in „Der Club der toten Dichter“ eine entscheidende Rolle
spielt, zugleich die Marschrichtung vor. „Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben; intensiv leben wollte ich. Das Mark des Lebens in mich aufsaugen, um alles auszurotten was
nicht Leben war. Damit ich nicht in der Todesstunde inne würde, dass ich gar nicht gelebt hatte.“ Ein starker Moment in einem starken Stück.
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