Der Pate lässt sich natürlich einfliegen. Stilecht, mit Boden-Lotsinnen im Silber-Look. Von der Hallendecke schwebt Udo Lindenberg herab in Richtung Bühne. So eigenwillig wie eh und je. Der Don des Deutsch-Rock kann gar nicht anders. Will es auch nicht anders. Und warum sollte er auch? Diese Art der Inszenierung gehört einfach dazu, ist längst Teil der Legende um einen Künstler, der immer wieder aufersteht und mit jeder Reinkarnation noch besser zu werden scheint. Insofern Punktlandung für den UFO-Mann im Nadelstreifenanzug, der sich so gerne völlig losgelöst von der Erde gibt und doch die Gegenwart fest im Blick hat. Auf seiner aktuellen „Stärker als die Zeit“-Tour, die in der restlos ausverkauften Lanxess-Arena ein umjubeltes Ende findet, präsentiert sich Lindenberg so stark wie schon lange nicht mehr. Gereift und geräuchert, in Topform über das Parkett tänzelnd und die Musik in vollen Zügen genießend bietet der Meister ein Spektakel der Extraklasse, irgendwo zwischen Varieté und Größenwahn, angereichert mit zahlreichen Freunden und vor allem mit jeder Menge Spaß.
Von der ersten Sekunde an macht Lindenberg mit der ihm eigenen schnodderigen Stimme sein Ding und hat dabei das Publikum ganz auf seiner Seite. Begeistert singen die Lindianer die großen Hymnen
mit, erfreuen sich an „Cello“ oder „Schwere Zeiten“; am souveränen, wenn auch in den oberen Rängen leider etwas breiig klingenden Panikorchester; an den starken Tänzerinnen und an den noch
stärkeren Sängerinnen, die im wechselnden Reigen um Don Udo herumscharwenzeln, ihn unterstützen und ihm Halt geben, zugleich aber auch die verschiedenen Marotten ihres Chefs zu kompensieren
verstehen.
Eines muss man Udo Lindenberg lassen: Er weiß, wie man feiert. Gleichzeitig lässt er es sich aber nicht nehmen, sich auch politisch zu äußern. „Wenn es ein Weltgewissen geben würde, es müsste
laut aufheulen“, sagt er mit Blick auf den wachsenden Despotismus und Rassismus, auf all die Ungerechtigkeit und Kriegstreiberei – und beweist Haltung. Mehrfach. Schon 1981 sang er im Duett mit
dem damals zehnjährigen Pascal Kraevetz, dem Sohn seines Keyboarders, das Lied „Wozu sind Kriege da“ – in der Lanxess Arena stimmt er selbiges wieder an, erneut mit Kraevetz, aber zugleich
verstärkt durch den Düsseldorfer Kinderchor „Kids on Stage“. Kurz darauf, bei „Sie brauchen keinen Führer“, stößt Lokalmatador Wolfgang Niedecken zu Lindenberg, bei „Bunte Republik Deutschland“
kommen der Rapper Marteria und Sänger Daniel Wirtz hinzu. Gemeinsam setzen sie ein Zeichen, erheben ihre Stimmen und fordern das Publikum auf, es ihnen gleichzutun. Zumindest für einen Moment.
Schon das ist wichtig. Und gut.
Danach aber geht die Party des Panikpräsidenten weiter. Immer wilder und schriller wird es, immer bunter die Kostüme, immer ausgefallener die Darbietungen. Irgendwann taucht Otto Waalkes auf,
dann die Musical-Darstellerin Josephin Busch (spielt in „Hinterm Horizont“ die weibliche Hauptrolle), Nathalie Dorra („Voice of Germany“), Ina Bredehorn („Deine Cousine“) und der Hamburger Ole
Feddersen. Auch sie gehören zur Familie des Dons, in der dieser sich sichtlich wohl fühlt. Schräge Typen, schöne Frauen. Küsschen hier, Küsschen da. Dazu ausgelassen feiernde, jubelnde Fans, die
sich an dieser Gigantomanie berauschen. Alles perfekt, besser könnte es kaum laufen. Was will Lindenberg also mehr? Das von ihm so gepflegte Außenseitertum ist in dieser Zeit obsolet. Bis er dann
schließlich, nach etwa zweieinhalb Stunden, doch ganz alleine den Rückflug antritt. Astronautenhelm auf und mit dem Raketenrucksack in Richtung Sternenzelt. Erinnert ein bisschen an Major Tom.
Nur dass Lindenberg den Kontakt zur Welt zum Glück nicht abbrechen möchte. Sondern wiederkommen will. Möglichst bald sogar. Hat er immerhin feierlich geschworen. Und auf das Wort eines Paten ist
ja bekanntlich Verlass.
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