Provokation mit allen Mitteln: Diesen Ansatz hat Kay Ray in der Vergangenheit nur allzu gerne verfolgt. Ob er über Minderheiten herzog oder älteren Besuchern seines Programms eine Hitler-Frisur verlieh, ob er auf der Bühne einen Wodka nach dem nächsten herunterkippte oder mit seinem Penis Tierfiguren formte, ständig flirtete der exzentrische Komiker mit dem nahen Abgrund. Doch diese Zeit soll nun vorbei sein. Zumindest teilweise. „Ich wurde immer nur als schwuler Paradiesvogel gesehen, der auf der Bühne Schweinereien macht, die alle verurteilten und gleichzeitig sehen wollten“, gesteht er nun im Pantheon. „Das ging mir zuletzt richtig auf die Nerven. Es musste sich was ändern – also habe ich angefangen zu denken.“ Und tatsächlich ernst zu werden. Was ihm überaus gut zu Gesicht steht.
Natürlich hat Kay Ray keine vollständige Kehrtwende gemacht, dafür ist er viel zu gerne das enfant terrible der deutschen Kleinkunstszene. Auch weiterhin fühlt er sich unter der Gürtellinie wohl, genießt es, mit seiner gnadenlosen Offenheit in sexuellen Belangen zu schockieren. „Wir sind an diesem Abend so wenige, weil es eine Terrorwarnung gab. Und zwar vor mir“, erklärt er seinem im Saal verstreuten Publikum. Dabei ist der 51-Jährige inzwischen ruhiger geworden. Klarer. Und auch verletzlicher. Ein Arm steckt nach einem Fahrradunfall in einer Schlinge (um Spaß zu haben, reicht Kay Ray aber auch einer aus), auf der Nase sitzt neuerdings eine Brille – und im Handy stecken die ganzen guten Gedanken zur aktuellen politischen Situation. Ob Elbphilharmonie oder Dosenpfand, Merkel-Drachen oder Flüchtlingskrise, Kay Ray äußert sich zu allem. Nicht immer stringent (dafür arbeitet er einfach zu assoziativ und zu sprunghaft), aber mit einigen bissigen Pointen, die durchaus ins Schwarze treffen. In diesen Momenten ist der Querkopf auf einmal ganz ernst, bevor er sich wieder hinreißen lässt, in die Welt des Obszönen abzutauchen. Diesen Balance-Akt braucht er einfach, alles andere käme einer völligen Selbstaufgabe gleich. Kay Ray will sich einfach ausleben, so wie es ihm gefällt, und das Publikum ist herzlich eingeladen, ihm dabei zuzuschauen. Oder eben zu gehen, wenn es nicht gefällt. „Aushalten ist das Wort des Abends“, sagt Kay Ray einmal dazu. Den Menschen nach dem Mund reden, sich einschränken? Käme Kay Ray wahrscheinlich nie in den Sinn. Nicht umsonst heißt das aktuelle Programm „Yolo“, eine Abkürzung für „you only live once“. Du lebst nur einmal. Dann aber richtig. Was für Kay Ray bedeutet, nicht nur auf dem Oberdeck zu promenieren und mit spitzer Zunge das Weltgeschehen zu kommentieren, sondern eben auch durch die unteren Ebenen des Niveaus zu kriechen, von einem Loch zum anderen, jede Zote genüsslich goutierend. Das muss man tatsächlich erst einmal aushalten. Aber im Gegensatz zu einigen früheren Auftritten ist das an diesem Abend wieder mühelos möglich.
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