Der Saal tobt. Was auch sonst angesichts des Aufeinandertreffens zweier Giganten des Jazz? Mike Stern und Marcus Miller gemeinsam auf der Bühne – der legendäre Bebop-Rocker mit dem Dauer-Grinsen und der groovende Slap-Bass-Meister, der unter anderem mehrere Alben von Miles Davis maßgeblich prägte und produzierte. Jeder für sich ist schon ein Erlebnis, aber im Duett? Das sieht und hört man nicht oft. Doch das Jazzfestival Neuwied hat nun einmal ein Händchen dafür, große Namen zusammenzubringen. Seit 40 Jahren holt es an einem Wochenende im November die Hohepriester des Jazz in eine Stadt, in der sonst, so geht das Gerücht, schon um 18 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden. Außer wenn gespielt wird.
Pat Maetheny, Esbjörn Svensson, Billy Cobham, John McLaughlin, Jan Garbarek und viele mehr halten dem Festival die Treue, kommen immer wieder gerne wieder in die Stadthalle, mit Freiheit im Gepäck und Rhythmus im Blut. So natürlich auch zum Jubiläum, zu dem neben Dauergast Jasper van't Hof, Markus Stockhausen und Lars Danielsson am ersten Tag eben auch Stern und Miller angereist sind. Eigentlich zu Einzelkonzerten, versteht sich. Doch Miller, ohnehin ein Teamspieler allererster Güte, schert sich darum nicht, holt seinen Kollegen auf die Bühne, erklärt ihm kurz ein paar Akkordwechsel – und gibt Gas.
Es ist ein bemerkenswertes Zusammenspiel: Hier Miller, der mit seinem Bass so ziemlich alles machen kann, ihn gerne mal zu wilden Grooves peitscht und dann wieder einen unglaublich lyrischen Ton
zu erzeugen versteht; und dort Stern, der immerhin schon ein anderthalbstündiges Konzert in den Konchen und noch immer Probleme mit seiner rechten Hand hat (im Sommer 2016 hatte er einen schweren
Unfall), aber dennoch seine Gitarre beherrscht wie ein junger Gott. Keine Frage, sein Auftritt mit der überragenden Dave Weckl Band war phänomenal, nicht zuletzt dank des permanenten Dialogs
zwischen ihm und Saxophonist Bob Malach ein Genuss für jeden Fusion-Fan, herrlich rockend und zugleich immer wieder (etwa bei „Chromazone“) die Grenzen des Machbaren auslotend – doch zusammen mit
dem dezente Einsatzbefehle erteilenden Miller, der ständig das große Ganze im Blick hat und über ein fantastisches Gespür für Dynamik und Dramaturgie verfügt, hat Stern mindestens genau so viel
Spaß. Und das zu Recht. Das Publikum ist völlig aus dem Häuschen, vor allem als der Feldherr mit einer funkigen Basslinie aus nur zwei Tönen den Startschuss zu einem Klassiker gibt. „Papa Was A
Rollin' Stone“, The Temptations. Klasse. Stern braucht nur einen Moment, um die Harmonik des Stückes zu erfassen und bei der ersten Gelegenheit in eines seiner wahnwitzigen Soli einzusteigen, das
sich irgendwann zu einem Zwiegespräch mit Millers Bass entwickelt; dazu stößt Trompeter Marquis Hill, ohnehin ein Genie auf seinem Instrument, der noch etwas mehr Raum als sonst erhält, um sich
in die Herzen der zum Teil bereits tanzenden Zuschauer zu blasen. Fertig ist das Meisterwerk.
Bis spät in die Nacht hinein dröhnen die prägnanten Rhythmen des Jazzfestivals aus dem Heimathaus in die bereits schlafende Stadt – nicht zuletzt, weil Marcus Miller, der irgendwann auch wieder
ohne Stern zaubert, aufgrund einer überaus langen Umbaupause erst um 21.45 Uhr loslegen konnte. Egal, denkt sich das begeisterte Publikum. Ist halt Jazz. Und zugleich der lebendige Puls eines
Prunkstücks der Konzertlandschaft, der weit über die Region hinaus strahlt. Hoffentlich noch weitere 40 Jahre lang.
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