Eigentlich gibt es derzeit keine bessere politische Kabarettistin als Anny Hartmann. Ihre Programme bestechen durch Tiefgang und sorgfältige Analysen, geprägt von genauem Hinschauen statt von oberflächlichen Stammtischparolen. Umso erstaunlicher ist es, dass die 47-Jährige ausgerechnet beim Jahresrückblick schwächelt, jener Paradedisziplin, in der endlich mal mit allem abgerechnet werden kann, was man in zwölf Monaten einfach nicht angemessen kommentieren konnte. AfD, Trump und Erdogan, Fake News und #metoo, G20-Ausschreitungen, Staatstrojaner und der Niedergang der SPD – so viele Themen und so wenig Zeit. Und natürlich kann Hartmann sich zu allem äußern, mitunter sogar einige vermeintliche Wahrheiten dekonstruieren. Dennoch ist sie zumindest im restlos ausverkauften Pantheon nicht so recht in Form: Sie zwingt dem Publikum ihre Pointen förmlich auf, statt einfach auf ihre Wirkung zu vertrauen, setzt auf gekünstelte Gags statt natürlicher Bissigkeit, polemisiert mitunter sogar und wirkt immer wieder fahrig statt konzentriert. Inhaltlich gut, keine Frage. Doch in der B-Note gibt es dafür Abzüge.
Dabei hätte Hartmann das überhaupt nicht nötig. Sie hat schließlich das Rüstzeug, um es besser zu machen, hat das Wissen und den Witz, um auf die so genannten „bösen Quickies“ zu verzichten, die
nichts anderes sind als abgelesene Pointen mit Ansage. Achtung, jetzt kommt ein Karton. Bitte lachen, und zwar jetzt. Ein derart bemühtes Erzwingen von Publikumsreaktionen ist nun wirklich nicht
nötig. Gleiches gilt für Kalauer und Wortspielereien, auf die Hartmann nachdrücklich hinweist. „Da hab ich schon wieder ein Späßchen gemacht“, bemerkt sie dann gerne mal. Ach so. Das muss sie
aber auch dazusagen. Hätte sonst wahrscheinlich niemand bemerkt. Was nicht gerade für die entsprechenden Äußerungen spricht.
Derartige Unsicherheiten liefert die Kölnerin am laufenden Band, bettelt förmlich um Applaus und setzt auch wie in den Jahren zuvor wieder Schokolade als Bezahlung ein, um die Teilnahme an ihren
Zitate-Rätseln zu garantieren. Warum auch immer. Schließlich hat Hartmann mehr zu bieten. Vor allem, wenn sie das Skalpell herausholt und anfängt, gewisse Berichte aus 2017 zu sezieren. Etwa jene
über die Krawalle in Hamburg, in denen von gefährlichen Gegenständen und brennende Polizeiautos im Schanzenviertel die Rede war. „Die Darstellung der Behörden lässt sich nicht beweisen“, sagt
Hartmann nun und verweist auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Christiane Schneider, bei deren Beantwortung die Hamburger Innenbehörde kräftig zurückrudern musste. Hat die Öffentlichkeit
damals nur nicht weiter berührt. Warum auch immer. „Fake News made by German Police“, nennt Hartmann die ursprünglichen Berichte und attackiert die deutschen Vollzugsorgane gnadenlos weiter. Auch
wenn sie dabei mitunter etwas über die Stränge schlägt. Bundesinnenminister Thomas de Mazière ist ohnehin ihr aktueller Lieblingsfeind, aber auch die Bundeswehr, die in einen Skandal nach dem
nächsten verstrickt ist, ist vor ihrer schneidenden Kritik nicht sicher. „Sie hat ein Haltungsproblem, nämlich ein Hakenkreuz“, verallgemeinert sie. Und offenbart damit jenes
Differenzierungsproblem, das sie zuvor der Polizei bei dem Umgang mit den Demonstranten in Hamburg völlig zu Recht vorgeworfen hat.
Zugegeben, es ist schwer, all die großen Themen angemessen zu besprechen, die 2017 für Schlagzeilen gesorgt haben. Alleine über Donald Trump könnte man zehn Kabarett-Programme machen (und müsste
noch nicht einmal eine Zeile dafür erfinden), ebenso über den zunehmenden Erfolg von Populisten und Rechtsradikaler, über die Sexismus-Debatte und über die ungesunden Vermischungen von Politik
und Wirtschaft, die sich im Dieselskandal deutlich widerspiegeln. Ein Jahresrückblick kann all dies nur anschneiden, muss pauschalisieren und überspitzen. Dennoch wäre es schön, wenn Anny
Hartmann sich wieder mehr auf ihre Stärken verlassen würde, auf ihren analytischen Scharfsinn und ihr enormes Talent, komplexe Sachverhalts einfach und zugleich richtig darzulegen. Gerade in
einer Jahresendabrechnung ist dies mehr wert als zehn böse Quickies.
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