Gegen Ende des Abends ist das Publikum klatschnass. Eine Wasserflasche nach der anderen hat Schauspieler Kiryl Masheka gerade über den Besuchern der Harmonie entleert, eine provokante, aufgezwungene Taufe zur Aufnahme in die Armee der Pussy Riots. Das Punk-Kollektiv, das 2012 die Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale stürmte und durch ihren Protest gegen die Verstrickung zwischen dem russischen Klerus und Präsident Wladimir Putin weltweit berühmt wurde, kann einfach nicht anders. Protest braucht Aufmerksamkeit, und die erlangt man nun einmal am ehesten mit extremen, überraschenden, verstörenden Aktionen. Auch wenn die mitunter Konsequenzen haben, wie Pussy Riot nur zu gut weiß.
Die drei Gruppenmitglieder Nadezhda Tolonnikova, Jekatarina Samutsevich und Maria Alyokhina sind damals, nach dem Kirchen-Auftritt, in ihrer Heimat zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, wegen „Hooliganismus motiviert durch religiösen Hass“, wie das Gericht erklärte. Die Erlebnisse rund um den Prozess hat Alyokhina nun in ihrem Buch „Tage des Aufstands“ zusammengefasst, einer Mischung aus Dokumentation und Manifest, mit der sie derzeit durch Deutschland tourt – und dabei eben auch in Bonn Station macht.
Sonderlich voll ist die Harmonie leider nicht, sicherlich auch weil im Vorfeld niemand so recht wusste, was man vom Pussy Riot Theatre erwarten sollte. Letztlich ist es von allem etwas, Lesung,
Video-Installation, Performance und rohe, minimalistische Elektro-Punk-Musik gehen ineinander über. Die mitunter poetischen und dann wieder polemischen Phrasen aus dem Buch werden ins Publikum
geschrien, Wortsalven auf Russisch, deren Intensität dadurch abgeschwächt wird, dass sich alle auf die eingeblendeten Übertitel konzentrieren und weniger auf das Geschehen auf der Bühne. Dort
verausgaben sich die starke Alyokhina, der grandios agierende Masheka, Keyboarder Maxim Awott und Saxofonistin Nastya Awott, die ihr Instrument offenbar eher wegen der Lautstärke als wegen ihres
musikalischen Talents gewählt hat. Ekstatisch tanzend ziehen sie sich immer wieder Sturmmasken über den Kopf, folgen den historischen Geschehnissen, erzählen von den Vorbereitungen auf die
Kirchen-Aktion, das anschließende Untertauchen, die Verhaftung, den zur Farce mutierenden Prozess, die Haft. Ein Schnelldurchlauf, der aufrütteln soll, intensiv und anregend. Und doch immer
wieder nah am anarchistischen Krawall.
Denn gleichzeitig ist die Performance eben auch eine Fortsetzung des Pussy-Riot-Protests, mit all seinen Stärken und Schwächen. Eine reflektierende Haltung nimmt das Quartett nicht ein: Schuld
ist alleine Putin und sein korruptes System, nicht aber die Gesellschaft, die dieses duldet und mitunter auch befürwortet. Die wirklichen Probleme Russlands werden nicht thematisiert, stattdessen
hagelt es Beschimpfungen gegen einen Mann, der letztlich nur ein Symptom ist – und nicht die Ursache. Ist das die Botschaft? Weg mit den Symbolen, dann wird sich schon alles wieder richten? Ohne
Putin wird alles besser? Das erscheint ein wenig zu kurz gedacht, zu überspitzt, zu plakativ. Und so sind es denn letztlich auch jene Passagen, in denen Alyokhina statt über politische Motive
über sich selbst spricht, die am eindrucksvollsten wirken. Ihre Erzählung über das Leben im Gulag, ihre Ängste und Sorgen, das Bild ihres Sohnes, der mit einem Schild in der Hand um die
Freilassung seiner Mutter bittet – das bewegt. „Es gibt keine Freiheit, wenn man nicht täglich für sie kämpft“, sagt sie denn auch. Die Frage ist nur, welche Form man dafür wählt. „Verzweifelt,
unerwartet und lustig, genau so muss Protest sein“, propagiert Alyokhina. Und differenziert. Würde zumindest helfen.
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