Das Hofprotokoll ist eine Tortur. Zumindest für die freiheitsliebende Sissi, ihres Zeichens Kaiserin von Österreich – und damit Sklavin eines jahrhundertealten Konstrukts aus Erwartungen und Verpflichtungen. Jede Minute ist vorherbestimmt, jede Tätigkeit festgelegt. Schließlich geht es hier nicht um eine Ehefrau und Mutter, sondern um ein Symbol der Herrschaft. Um ein Objekt. Daran leidet der Wildfang Sissi, dem Schauspielerin Chris Pichler in ihrem selbst geschriebenen Ein-Personen-Stück „Elisabeth – Kaiserin der Herzen“ ein eindrucksvolles Denkmal setzt. Bei der Uraufführung im Kleinen Theater Bad Godesberg eröffnet sich dem Publikum nun ein Einblick in eine geradezu legendäre Gestalt, die weit vielschichtiger ist, als es die berühmten Verfilmungen aus den 50er Jahren erahnen lassen.
Das Stück präsentiert Sissi als zerrissene Frau, die auf der einen Seite ihren Franz Josef I. liebt und auf der anderen den Hof in Wien hasst. Vor allem der Konflikt mit ihrer Schwiegermutter
Erzherzogin Sophie bestimmt die frühen Jahre: Sie ist es, die Disziplin und Gehorsam verlangt, sich detailliert über die Bettgeschichten des frisch vermählten Kaiserpaares informieren lässt und
später die Kontrolle über die Erziehung der Kinder an sich reißt. Sissi leidet darunter. „Was wird aus mir, wenn alles meinem Naturell entgegengeht“, fragt sie irgendwann – und entschließt sich
zur Flucht. Immer wieder geht sie auf Reisen, mitunter bleibt sie bis zu zwei Jahre dem Hof und damit auch ihren Kindern fern. Erst spät gelingt es ihr, sich zu behaupten, hart zu werden und
abgebrüht. Immer größer wird die Distanz zum kaiserlichen Hof, und während Franz Josef I. sich anderen Damen zuwendet, schließt Sissi Ungarn in ihr Herz. Dort ist sie glücklich – bis der Suizid
ihres Sohnes sie zusammenbrechen lässt.
Wie schon bei „Romy Schneider – zwei Gesichter einer Frau“ gelingt es Chris Pichler, die Wandlung von der jungen Unschuld zur berechnenden, den Glamour ablehnenden Diva meisterhaft in Szene zu
setzen. Gut, ersteres nimmt man der 49-Jährigen trotz kindlicher Stimme und Rehaugenblick nicht mehr so ganz ab, als Leidende ist sie aber einfach herausragend. Und genau das macht das Stück
letztlich aus. Pichlers Sissi ist eben keine Märchenprinzessin im Regenbogenparadies, sondern vielmehr eine dunklere, dadurch aber auch realistischere Gestalt. Eine, mit der das Publikum
mitfühlen kann und über die es zugleich auch den Kopf schütteln kann. Denn die Kaiserin ist an ihrer Situation nicht unschuldig. Über die Jahre ist sie zu einer zweiten Erzherzogin Sophie
geworden, die sich und andere gnadenlos für ein Idealbild quält. Stundenlange Turnübungen und Reitausflüge sowie abstruse Diäten sollen die Kaiserin jung wirken lassen – doch anstatt diesen Wahn
zu zeigen und damit Sissi vollends der Lächerlichkeit preiszugeben, wählt Pichler einen anderen Weg. Sie lässt Hoffriseurin Fanny Feifalik auftreten, eine Frau mit losem Mundwerk und spitzer
Zunge, die ihre Herrin hinter vorgehaltener Hand verlacht und ihr trotzdem noch einen Rest Würde lässt. Ein geschickter Schachzug: Das Publikum hat angesichts der kabarettistischen Einlage etwas
zu lachen, ohne dass der Sissi-Kult große Kratzer davonträgt. So erweist sich der gut zweistündige Abend als überaus rund, bietet Unterhaltung, Tiefgang und auch das ein oder andere Liedchen und
ist für all jene gut geeignet, die einmal eine komplexere Biografie der berühmten Monarchin hautnah erleben wollen.
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