BonnVoice + Vocal Line: Anforderungen der Champions League

Vocal Line ist eine Wucht. Der a-cappella-Chor aus dem dänischen Aarhus hat Weltruhm erlangt, hat mit Bobby McFerrin und den Rolling Stones die Bühne geteilt und am Fuß der Christus-Statue in Rio de Janeiro mit einem Fernseh-Konzert 180 Millionen Zuschauer erreicht. Auf Einladung von BonnVoice ist das 30-köpfige Ensemble jetzt ins Pantheon gekommen – und hat gezeigt, warum es völlig zu Recht in der Champions League spielt. Und eben nicht in der Landesliga.

Spannung, Dynamik, Drive, starke Stimmen und gute Arrangements: Das alles macht einen Chor aus. Vocal Line hat es in all diesen Bereichen zur Meisterschaft gebracht, interpretiert Stings „Why Should I Cry For You“ herrlich gefühlvoll, Björks anspruchsvolle „Hyperballad“ unglaublich abwechslungsreich und Auroras „Running With The Wolves“ mit spektakulären Akzenten. Präzision und Präsenz sind beeindruckend, zumal bei den Dänen scheinbar jeder Sänger seine eigene Linie verfolgt und alle zusammen doch eine kohärente Einheit sind. Zugegeben, der Toningenieur am Mischpult, der etwa den Bässen in den forte-Passagen ein wenig zusätzliches Volumen zukommen lässt, hat an dem überragenden Vocal-Line-Klang einen nicht unerheblichen Anteil, doch kann er letztlich nur verfeinern, was bei ihm ankommt. Und das ist einfach Gesang auf allerhöchstem Niveau. Jeder Ton, sogar jede Pause hat eine eigene Qualität, jede Wendung und jede Phrase hat Relevanz und ist nicht nur belanglose Spielerei. Ein Superlativ jagt den nächsten, bis keiner mehr leugnen kann, dass Vocal Line in der Königsklasse der a-cappella-Welt ganz oben mitzuspielen versteht.

Bis dahin ist es für BonnVoice noch ein langer Weg. Die Lokalmatadore sind noch weit davon entfernt, die Perfektion von Vocal Line zu erreichen – dennoch gibt es durchaus Momente, in denen das Potenzial des Chores durchscheint. Die beiden deutschsprachigen Titel „Die Gedanken sind frei“ und „Ich seh dich“ gehören schon seit längerem zu den absoluten Höhepunkten im Repertoire der Bonner, mit viel Gefühl interpretiert und phantastisch intoniert, aber auch das neue Arrangement von „Get Lucky“ macht einfach nur Spaß. Nummern wie diese sind der Grund, warum BonnVoice immer wieder zu den besten Chören der Region gezählt wird. Umso unverständlicher sind daher Schwächen in Arrangements und Dirigat. So erscheint es völlig unverständlich, warum die treibenden Beatbox-Rhythmen bei „True Colors“ oder auch bei „Weather To Fly“ mitten in der Bewegung abgesetzt werden und damit nahezu die gesamte Energie in die Tiefe stürzen lassen. Wenn man diesen fragwürdigen Kunstgriff wirklich anwenden möchte, muss man dennoch die Spannung halten – und genau das gelingt Bonn Voice des öfteren nicht. Auch die dargebotene Version des „Air“ von Johann Sebastian Bach kann aus diesem Grund nicht überzeugen, zumal zwischen dem Kaugummi-Intro und dem Swing-Teil kein eleganter Übergang existiert und die Sänger von einem Moment auf den anderen umschalten müssen. Was eben nicht klappt. Leider. Schade, lenken doch derartige Arrangements, unglücklich ausgewählt und suboptimal umgesetzt, von der eigentlichen Qualität des Chores ab. Der kann mehr, viel mehr, wie er bei den bereits genannten Stücken unter Beweis stellt. Er müsste sich nur mal auf seine Stärken besinnen. Und den Drive sowie das Timing von Vocal Line übernehmen. Dann stünde dem Aufstieg nicht mehr viel im Wege.


Kommentar schreiben

Kommentare: 0