Wie viel Dissonanz verträgt der Jazz? Wie viel Strukturlosigkeit, wie viel Dekonstruktion? Und wie viel Freiheit? Sehr viel, wenn es nach Pablo Held geht. Der Kölner Pianist hat bei seinem Auftritt im LVR Landesmuseum im Rahmen des Jazzfests Bonn zusammen mit seinem Quartett genüsslich die üblichen Hörgewohnheiten zertrümmert, jeglichen rhythmischen Rahmen zerlegt und damit auf den ersten Blick ein ziemliches Chaos angerichtet. Böse Zungen könnten jetzt behaupten, dass das Ergebnis in etwa so viel mit Kunst zu tun hat wie die Fingermalereien eines vierjährigen Schimpansen – und in gewisser Weise hätten sie sogar echt. Und doch schimmerte hinter der scheinbaren Beliebigkeit immer wieder ein wie Konzept durch, waren Harmonie und Groove wenn schon nicht in Hör- dann doch zumindest in Sichtweite. Was je nach eigenem Kunstverständnis auszureichen vermag.
Vielleicht fordert eine aus den Fugen geratene Welt Musik wie die von Pablo Held, eine, in der das Kollektiv zunehmend durch Einzelkämpfer ersetzt wird, die zwar alle das gleiche Ziel verfolgen,
aber dabei ihren eigenen Weg gehen. Und immerhin steht außer Frage, dass die sich dahinter verbergenden komplexen, abstrakten Kompositionen einen stärkeren Gegenentwurf zum weichgespülten
Schlager-Pop einer Helene Fischer bilden als gefälliger Jazz-Gesang mit Wohlfühl-Begleitung. Doch auch bei der Abgrenzung kann man es übertreiben. Immerhin konnten und wollten sich selbst Held
und Konsorten beim Jazzfest nicht vollständig dem üblichen Hörgenuss verweigern: Zwischen tonlos gepusteten Trompeten-Soli, wilden Diskursen zwischen Klavier und Hammond-Orgel und alles
überdeckenden Schlagzeug-Patterns kam das Quartett immer wieder zusammen, bemühte sich um eine einheitliche Form in der Tonsprache des Modern Jazz und setzte so unter anderem das Titelthema von
„Pippi Langstrumpf“ überaus charmant um.
Dabei kann man auch einen anderen Ansatz im Jazz wählen, wie Aaron Goldberg mit seinem Trio im zweiten Teil des Abends zeigte. Einen, der weitaus stringenter war, weitaus klarer und dennoch
geprägt von Freiheit, Mut und technischer Brillanz. Das Zusammenspiel war perfekt, der Groove omnipräsent, die Soli ein Genuss, der gerade dadurch entstand, dass diese Improvisationen und
Variationen immer dem Stück dienten – und nicht das Stück den Künstlern. Die Leichtigkeit, mit der Goldberg über die Tasten flog, suchte seinesgleichen, egal ob beim haitianischen „Yoyo“, einer
im Traum geschriebenen Swingnummer oder einem Song aus Brasilien. Herausragend auch Drummer Leon Parker, der sein reduziertes Schlagzeug mit vollem Körpereinsatz bespielte und sich auch als
exzellenter Body- und Vocal-Perkussionist erwies. Einfach meisterhaft.
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