Der Blues gehört eigentlich nicht zu den Stilen, die man mit Tom Jones in Verbindung bringen würde. Er, der Party-Tiger der 60er (und später der 90er), der als Sex-Symbol angeblich mehr Groupies vernascht hat als alle Rolling Stones zusammen und der mit sonorem Schmelz irgendwo zwischen schmelzend-schmalzigen Liebesliedern („Delilah“) und soulig-funkigen Hits („It's Not Unusual“) die Massen begeisterte, war doch fast schon der perfekte Gegenentwurf zum rauen, urtümlichen und oft schwermütigen Zwölftakter. Doch Vielseitigkeit ist Trumpf – und so offenbarte der 78-Jährige zum Auftakt der diesjährigen KunstRasen-Saison in den Rheinauen auch eine ungeschliffene Seite, die ihm nichts desto trotz hervorragend zu Gesicht stand.
Musikalisch gesehen hätte die von Ernst Ludwig Hartz und Martin Nötzel organisierte Open-Air-Reihe, die in ihrem siebten Jahr so einige große Namen im Programm hat, kaum besser starten können –
schade nur, dass lediglich 2200 Fans Tom Jones erleben wollten. Dabei hätte dieser weitaus mehr verdient. Sein herrlicher Bariton ist ebenso wie der Waliser selbst in Würde gealtert, hat eine
leichte Patina erhalten und ist dadurch doch höchstens noch interessanter geworden. Und auch wenn der Tiger inzwischen grau geworden ist, weiß er doch ganz genau, wie er zu brüllen hat: Jeder Ton
sitzt, jeder Akzent, jeder Einsatz. In der Gronau schmetterte er Blues-Titel wie das zornige „Burning Hell“ von John Lee Hooker oder das düstere „Soul Of A Man“ von Blind Willie Johnson, bediente
sich bei Otis Redding („Dock of the Bay“), Johnny Cash („Ring of Fire“) und Leonard Cohen („Tower of Song“), immer wieder anders und doch immer wieder unverkennbar er. Bei „Sometimes I feel like
a motherless child“ sorgt er für eine Gänsehaut, bei „What's new, Pussycat“ für spontane Schunkelei und bei dem mit Mariachi-Anklängen verzierten „Delilah“ für frenetischen Jubel bei den
Fans.
Ohnehin hat Tom Jones den meisten seiner großen Hits einen neuen Anstrich gegeben, der ihnen überaus gut steht. Sogar „Sex Bomb“ hat er modifiziert, hat das Stück ein wenig entschleunigt und
reduziert, so dass auch ein Grandseigneur wie er es singen kann, ohne sich damit am Rand der Lächerlichkeit zu bewegen. Nein, diese pfiffige, leicht augenzwinkernde Version nimmt man dem Charmeur
auf der Bühne durchaus ab. Gleiches gilt für die zahlreichen Cover-Versionen, die schon immer sein Repertoire dominiert haben; nicht umsonst bestand das große Talent von Tom Jones im Laufe seiner
55-jährigen Karriere vor allem darin, fremden Stücken einen eigenen, unverwechselbaren Touch zu geben. Was dank der einprägsamen Stimme gelang – und dank exzellenter Musiker im Hintergrund.
So auch an diesem Abend. Vor allem Scott McKeon an Gitarre und Banjo setzt ein ums andere Mal Akzente, erweist sich mal als schneidend und dominant, dann wieder als überaus dezent. Aber auch die
Bläser-Sektion samt Sousaphon kommt gut zur Geltung. Manches ist ganz bewusst sparsam instrumentiert, lässt Raum für eine große Stimme und jede Menge Pathos; anderes dagegen drückt aufs Tempo,
darunter Randy Newmans „You Can Leave Your Hat On“ (das man sonst ja eher von Joe Cocker kennt) oder auch das funkige „Kiss“ von Prince, mit dem Tom Jones in den späten 80ern eines von mehreren
erfolgreichen Comebacks feierte. Bei zwei Songs darf sogar die walisische Band „Into The Ark“, die Tom Jones bei der Castingshow „The Voice UK“ entdeckte, mitspielen und eine rockigere Farbe
einbringen.
Letztlich übertrifft Tom Jones mit seinem fast zweistündigen Auftritt alle Erwartungen. Genüsslich zeigt er das gesamte Spektrum seiner Kunst, hat auf der Bühne sichtlich Spaß und sorgt so für
einen Auftakt nach Maß. Der Tiger ist noch lange nicht müde. Und das ist auch gut so.
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