Was für ein Kontrast: Einen Abend zuvor stand mit Tom Jones ein altgedienter Superstar auf der Bühne des KunstRasens, einer, der schon alles erreicht hat – und jetzt, dank einer 20-minütigen Verspätung knapp 23 Stunden später, stürmt eine 20-jährige Blondine mit jeder Menge Glitter im Gepäck ins Rampenlicht und begeistert ein Publikum, das ungefähr doppelt so groß, fünfmal jünger und sicherlich zehnmal lauter ist. Zugegeben, ein nicht unerheblicher Teil der gut 4000 Besucher besteht aus Eltern, die verzweifelt versuchen, ihre frenetisch jubelnden Kinder vor einem frühen Herzanfall zu bewahren, doch selbst diese wippen bei den Jugendpop-Songs von Lina Larissa Strahl unweigerlich mit.
Die eingängige Musik mit ihren ständigen Ausflügen in Richtung Indierock und der beständigen Verbeugung vor Taylor Swift, mit der die Bibi-Blocksberg-Darstellerin derzeit vor allem in den
sozialen Netzwerken für Furore sorgt, macht es einem auch leicht. Vor allem, wenn man nicht allzu sehr auf die Texte hört.
So wie Lina selbst ist auch ihre Musik in einer Umbruchphase. Während die Melodien ihres zweiten Studioalbums „Ego“ mitunter durchaus emanzipiert wirken und Schlichtheit mit effektvoller Dynamik
untermalen, strahlen die Verse oft noch eine kindliche Naivität aus, die immer wieder in die Banalität abgleitet. Für das Leben gibt es eigentlich immer eine rosarote Brille, und „sieht die Welt
beschissen aus, schmeiß ganz einfach Glitzer drauf.“ Das hat schon in den Bibi-Blocksberg-Filmen von Detlev Buck hervorragend funktioniert, in denen ein kleines „Hex Hex“ zur rechten Zeit die
Probleme eines Reiterhofs mühelos überwinden konnte. Diese Einstellung hat Lina sich bewahrt, will trotz Adoleszenz-Wutsongs wie „Ego“ weiterhin Mädchen sein und die Jugend zelebrieren, auch wenn
sie all dem eigentlich so langsam aber sicher entwächst. Gut, noch geht es. Etwas Farbe, ein paar Funkel-Pailletten und natürlich Konfetti-Regen, mehr braucht es nicht. Höchstens noch Gefühl.
„Das Beste im Leben geht ohne Überlegen, geht ohne Überlegen“, singt Lina irgendwann. Kopf aus, Herz an.
Für die zentrale Zielgruppe ist das genau die richtige Einstellung. Die Fans, zu 98 Prozent Teenagerinnen zwischen 7 und 15, feiern Lina mit regelmäßigen Kreisch-Attacken und unbändiger Freude.
Die wiederum ist permanent auf Achse, pendelt zwischen dem Mikrofonständer mit den wahrscheinlich von Helene Fischer oder David Garrett geborgten Riesenventilatoren und dem in die Menge
hineinragenden Laufsteg hin und her, lässt mal ihre blonde Mähne im künstlichen Wind wehen und winkt dann wieder lächelnd in Richtung ihrer jungen Fans, die mit selbst geklebten Plakaten und
anderen Liebesbeweisen die Aufmerksamkeit ihres Idols suchen. Dass Linas Gesang mitunter ein wenig abgehackt wirkt und die Band nicht immer ganz rund spielt, stört dabei niemanden. Zumal Lina
sich wirklich Mühe gibt und einige schöne Momente generiert. So sind denn letztlich alle zufrieden. Und so lange Lina noch diesen Spagat zwischen Kindlichkeit und Erwachsensein hinbekommt, dürfte
das auch so bleiben.
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