Die Mission ist klar: „Ich gehe hier erst wieder weg, wenn ein bisschen mehr Liebe in der Welt ist“, sagt Johannes Oerding. Was eigentlich schon eine Viertelstunde nach Beginn seines Konzerts auf dem Bonner KunstRasen der Fall ist. Gerade erst hat der Pop-Sänger die rund 2500 Besucher dazu aufgefordert, sich einander vorzustellen und dem Nachbarn doch mal Komplimente zu machen, da liegen sich schon einige Pärchen in den Armen. Pflicht erfüllt. Jetzt kann die Kür kommen. Was für Oerding in erster Linie bedeutet, sein Publikum zu harmonisieren und in einen Wohlfühl-Taumel zu stürzen, der gute anderthalb Stunden anhält. Viel braucht es dafür nicht. Ein bisschen „Oh, ho, ho – oh, ho, ho“ und die Fähigkeit, jedem Fan das Gefühl zu geben, dass die gesungenen Zeilen nur für ihn bestimmt seien. Schon ist die Menge selig. Und Oerding einmal mehr der Liebesbote.
Zugegeben, allzu viele Ecken und Kanten kann man bei den Liedern des 36-jährigen Singer-Songwriters nicht entdecken. Das aber ist gewollt, schließlich will Oerding niemandem weh tun. Kritik in
diese Richtung versteht er einfach als Lob, und die derzeitigen Plattenverkäufe bestätigen seinen Kurs ohnehin. Das aktuelle Album „Kreise“, dessen Titel den Großteil des Konzerts in den
Rheinauen ausmachen, ist längst sechsstellig und damit die erfolgreichste Veröffentlichung des Wahl-Hamburgers. Was für ein Unterschied zum letzten Auftritt Oerdings in Bonn: Vor sieben Jahren
war er zum letzten Mal in der Bundesstadt, damals in der Harmonie vor 63 Besuchern, wie er lachend erzählt. Da hat er doch einen ganz schönen Sprung gemacht. Auch was seine Musik angeht. Gefällig
ist sie, keine Frage, aber auch erfreulich abwechslungsreich – und zumindest live erhalten einige Songs auch eine rockige Attitüde. Oerding bleibt zwar auch dann lieb, aber eben nicht zwingend
brav. Steht ihm gut. Dazu liebt er das Spiel mit musikalischen Zitaten, verweist auf Johann Sebastian Bach ebenso wie auf Whitney Houston und Michael Jackson, die er augenzwinkernd in seine
Arrangements einbezieht, ohne es mit derartigen Spielereien zu übertreiben. Das Ergebnis ist wirklich nett, peppig und poppig, aber auch voller Energie und zu keinem Moment langweilig.
Dabei hilft es auch sehr, dass Johannes Oerding ein überaus guter Texter ist, der sich eben nicht wie viele seiner Kollegen in abstrusen Bildern verliert, sondern bei allem Kitsch und Herzschmerz
doch immerhin eine klare Linie fährt – und diese auch hervorragend vermitteln kann. Denn der Charmeur mit seinem emblematischen Hut versteht es mühelos, einen Kontakt zum Publikum aufzunehmen und
es zu einer Gemeinschaft zu vereinen, die zusammen feiert, zusammen schmachtet und auch zusammen mit Oerding in dessen Jugend eintaucht, auf die er etwa in „Hundert Leben“ zurückschaut. Eine
Freundin, die er darin besingt, ist an diesem Tag sogar im Publikum, ebenso wie ein ehemaliger Fußballtrainer. So klein ist die Welt.
Letztlich erfindet Johannes Oerding den Pop nicht neu, formt ihn aber überaus geschickt und sorgt für eine hervorragende Stimmung. Das Publikum will ihn denn auch gar nicht von der Bühne lassen,
würde ihn am liebsten dauerhaft da behalten und mit ihm „Hundert Leben“ oder noch ein paar Mal „Oh, ho, ho – oh, ho, ho“ singen. Doch irgendwann muss auch mal Schluss sein. Zumindest für heute.
Der KunstRasen geht ja immerhin noch bis Dienstag weiter, mit Nu-Metal von Limp Bizkit zum Abschluss. Eine ganz andere Richtung. Mit vielen Ecken und Kanten. Ob das besser ist, muss letztlich
jeder selbst entscheiden.
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