Mit Werten und Normen beschäftigt sich das Theater Rampös leidenschaftlich gerne: Seit das freie Ensemble Anfang 2016 gegründet wurde, sucht es nach Bruchstellen, durch die der Alltag zur Farce wird oder die Fassade der Normalität zu bröckeln beginnt. Nun hat es mit einer Doppelproduktion in der Brotfabrik dieses Konzept fortgesetzt und zwei kurze Stücke inszeniert, die in ihrer Theatersprache unterschiedlicher kaum sein könnten und die doch beide einen Blick auf Verlorene und Außenseiter gewähren. Auf der einen Seite steht mit der inzestuösen Liebesgeschichte „Ilja & Mira“ eine melancholisch-amouröse Collage, auf der anderen mit Rodrigo Garcías „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch“ eine gnadenlos komische Groteske, die hinter der Micky-Maus-Maske des Absurden einige brillante Einblicke in eine Glück und Konsum verwechselnde Gesellschaft gewährt. Zwei spannende Ansätze. Und eine gute Umsetzung.
„Ilja & Mira“ ist die erste Eigenproduktion des Theater Rampös, geschrieben und inszeniert von Gründungsmitglied Tanja Witzel und besetzt mit zwei erfahrenen Schauspielern. Antje Mies unterrichtet sogar Schauspiel, Yannic Currlin wirkt seit zehn Jahren beim Jungen Theater Bonn mit – da kann ja eigentlich nichts schief gehen. Doch so ganz kann der Tanz der beiden Figuren nicht überzeugen, die sich da umgarnen und zugleich auf Distanz zu bleiben versuchen. Vor allem Currlin wirkt steif, mitunter auch hektisch, so dass Intensität und Vertrautheit der bereits bestehenden und sich vertiefenden Beziehung zwischen Ilja und Mira nur bedingt herausgespielt werden können. Schön dagegen die Live-Musik von Pianist Chris Knighton und die Choreographie der beiden Leitern, die als einziges Requisit mal ein Boot bilden, dann wieder eine Schaukel oder auch ein Bett. Eine klarere Figurenführung wäre allerdings wünschenswert gewesen.
So wie bei dem zweiten Stück des Abends, das von Anfang an aufs Tempo drückt. Feste Rollenzuordnungen gibt es nicht, jeder der vier Darsteller (Jan Koch, Inga Leske, Andrea Bühring und Regisseur Alexander Bluhm) darf mal den namenlosen Vater spielen, der mit 40 Jahren und drei Kindern gerade einmal 5000 Euro auf dem Konto hat – und jetzt einfach mal etwas damit machen möchte. Und zwar nicht nach Disneyland fahren, wie es seine Söhne fordern. Nein, dieser Konsumtempel kriegt das Geld nicht. Auch nicht ein Elektrofachgeschäft, obwohl die Waschmaschine kaputt ist, das Handy auch, die Spülmaschine sowieso. Aber es muss doch etwas Sinnvolleres geben. Und irgendwas Verrücktes, das man einfach tut, statt zu planen und nichts wirklich anzufangen. Also springt die Familie kurzerhand ins Taxi nach Madrid, um in den Prado einzudringen und eine Nacht mit den Gemälden von Goya durchzufeiern. Zur Unterhaltung wird noch Philosoph Richard David Precht eingeflogen, der schon zuvor immer wieder zitiert und in Video-Sequenzen eingeblendet wurde und der sich explizit gegen ein durchgeplantes Leben ausspricht. Er muss das ja verstehen. Und wenn was dazwischenkommt? Haben der Vater und seine Söhne wenigstens gelebt. Eine absurde Idee, aber eine, die aufgeht, zumal das Ensemble mit bemerkenswerter Wucht und Leidenschaft spielt, die Sätze nur so herausschreit und dem durchgetakteten Alltag den gestreckten Mittelfinger zeigt. Das ist Theater, das nachwirkt. Davon bitte mehr.
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