Einer alleine kann nichts bewirken. Warum sich also bemühen? Warum sein Leben ändern, wenn Milliarden andere Menschen weitermachen wie bisher? Ja, die Welt ist kaputt, und das treibt die Jugend in Scharen auf die Straße, aber persönliche Konsequenzen scheitern oft an Zweifeln, was das denn bringen soll. Im neuesten Stück des Jungen Ensembles des Theater Marabu werden genau diese existenziellen Fragen gestellt, mit großem Spieltrieb in Szene gesetzt – und letztlich auf äußerst eindrucksvolle Weise gelöst. Nicht zuletzt deswegen ist „Die Konferenz der Vögel“ eine der stärksten und intelligentesten Bühnenproduktionen der vergangenen Jahre, die das Publikum packt, es zum Nachdenken bringt. Und letztlich zum Mitmachen.
Grundlage der „Konferenz der Vögel“ ist die gleichnamige Fabel des Mysikers Fariduddin Attar, die zu den bedeutendsten Werken persischer Dichtung zählt. Darin machen sich die Vögel auf, um den
sagenumwobenen König Simurgh zu finden, der sie beraten und leiten kann. Auf ihrer gefährlichen Reise müssen sie sich immer wieder selbst erkennen, müssen sich selbst hinterfragen und dürfen
dabei allen Einschränkungen zum Trotz das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Diese Queste hat das Junge Ensemble bei ihrer Inszenierung in Beuel in die Gegenwart und auf ihre eigene Situation
übertragen. Denn zu welchen Einschränkungen ist man bereit? Verzichtet man wirklich auf die Flugreisen, auf die neueste Technik oder auf Produkte von Nestlé? Widersetzt man sich dem Gesetz des
Markts und der Anbetung des Konsums, um sich stattdessen ein bisschen Menschlichkeit zu bewahren? Rund 140 Millionen Euro gibt allein Deutschland an Silvester für Feuerwerkskörper aus, betonen
die Jugendlichen – aber als 32 Flüchtlinge an Bord der Sea Watch 3 einen sicheren Hafen brauchten, war keiner in Sicht. 140 Millionen Euro, verpulvert in 30 Minuten, nur für ein paar Explosionen
am Himmel. Was für eine Hybris, was für eine Arroganz. „Protect Me From What I Want“ singt das Ensemble dazu, schreit die Botschaft von Placebo in die Menge, ein aufgewühlter Pulk junger
Menschen, die sich nach einer Utopie sehnen und doch angesichts der Realität zunehmend die Hoffnung verlieren. „Ich habe Angst“, bekennt eine Schauspielerin, „weil ich mir eine Welt ohne Krieg,
Ausbeutung und Umweltverschmutzung einfach nicht mehr vorstellen kann.“
Ihre Sorgen drücken die Marabus mit einfachsten Mitteln aus, mit Pappschildern, mit Musik, mit Masken. Sie erinnern an ermordete Friedensaktivisten, würdigen Seenotretter und lassen Despoten
tanzen, bevor diese mit tollwütigem Gebell jeden Wohlklang vertreiben. Stets agieren sie im Kollektiv – und das ist ihre größte Stärke. Einen Anführer brauchen sie nicht, ebenso wenig wie die
Vögel in der Fabel. Von den Tausenden, die einst losgezogen sind, um ihren König zu finden, sind am Ende nur noch 30 übrig. 30 Vögel: Das bedeutet auch „Si Murgh“. Gemeinsam bilden sie einen
Schwarm, in dem jeder sowohl führt als auch geführt wird. „Wir sollten versuchen, wie die Vögel zu sein“, findet das Junge Ensemble. Selbst dann, wenn es die Zahl aus der Fabel nicht erreichen
mag. Entschlossen zählt es durch – und das Publikum schließt sich an. Ein Gänsehaut-Moment, ausgelöst durch das Bekenntnis einer Gemeinschaft. Aus einem wurden zehn, aus zehn dreißig. Vielleicht
lässt sich die Welt ja doch noch verändern. „Die Konferenz der Vögel“ gibt zumindest wieder Hoffnung. Als das Bühnenlicht ausgeht, ist das Soll erreicht, hat Simurgh auch in Beuel Fuß gefasst.
Und in die Dunkelheit hinein schallt aus dem Zuschauerraum eine „31“.
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