Der Humor vieler Menschen beginnt unter der Gürtellinie. „Sex sells“, dieses Prinzip gilt durchaus auch in der Comedy-Szene – und das Musikduo Suchtpotenzial nutzt genau das in ihrem dritten Programm „Sexuelle Belustigung“ genüsslich aus. Mit Erfolg, wie der Auftritt von Julia Gámez Martín und Ariane Müller im Pantheon zeigt. Zum ersten Mal seit 18 Monaten findet im Saal des Kleinkunsttempels wieder etwas statt, und 200 Besucher sind gekommen, um sich endlich wieder unterhalten zu lassen. Unter Corona-Bedingungen gilt dies als ausverkauftes Haus. Eine gute Grundlage für Suchtpotenzial, zumal das Publikum willig, ja geradezu ausgehungert ist und nach Gags und Pointen egal welcher Art giert. Selbst nach Zoten. Und von denen hat Suchtpotenzial so einige im Gepäck.
Acht Jahre Ochsentour hat Suchtpotenzial inzwischen hinter sich, acht Jahre der Selbstaufopferung für jeden noch so kleinen Auftritt. Jetzt, endlich, soll sich die Mühe auch mal bezahlt machen.
Und da die beiden Damen mitbekommen haben, welche Pointen den Weg in die großen Arenen ebnen und welche nur in Kellerkneipen, war die Entscheidung über die zukünftige Ausrichtung ihrer Wort- und
ihrer Musik-Nummern einfach. Schamlose Selbstvermarktung, die Dialektik der Dialekte und Lieder über Penisneid, das ist die Mischung, die eine große Karriere versprechen. „Wir machen Musik von
Betrunkenen für Betrunkene“, stellt Julia Gámez Martin denn auch gleich zu Beginn der Show fest und handelt dann schnell die #MeToo-Debatte ab, weil eine Stellungnahme dazu ja von zwei Frauen
ihres Kalibers erwartet wird, zu einem späteren Zeitpunkt im Programm das Niveau aber über Gebühr heben würde. Und das will ja wirklich niemand.
Geschickt spielt Suchtpotenzial auf diese Weise mit den Erwartungen deutscher Unterhaltung (zumindest kann man nur hoffen, dass es ein Spiel ist) und kombiniert die meist flachen Witze mit
erstklassiger Musik. Vor allem Rampensau Julia Gámez Martin erweist sich einmal mehr als überaus wandlungsfähige Sängerin mit enormer Bandbreite, während Ariane Müller die Finger über die Tasten
flitzen lässt und so ganz nebenbei die zweite Stimme ins Mikro haucht. Leider verlieren aber trotz dieser Qualitäten einige Nummern an Spannung, weil Suchtpotenzial nicht den Absprung schaffen.
Vor allem der Versuch, in geradebrechtem Englisch deutsche Dialekte zu erklären, zieht sich wie Kaugummi, und auch der Sketch über die Macht von Auto-Tune-Effekten zur Verbesserung der
Stimmqualität, der in erster Linie Julia Gámez Martin glänzen lassen soll, leidet an Überlänge – mit ein Grund, weshalb die zweite Programmhälfte erst kurz vor 22 Uhr beginnt. Das Publikum ist
dennoch aus dem Häuschen, feiert Suchtpotenzial ausgelassen und füllt das Pantheon mit jenem Klang, der in den vergangenen anderthalb Jahren so sehr gefehlt hat: Mit frenetischem, euphorischen
Applaus.
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