Es herrscht Stille. Einfach Stille. Das Pantheon hält den Atem an, wartet auf den nächsten Ton von Jowee Omicil, der mit seinem Saxofon auf der Bühne steht – und wartet. Und schweigt. Eine Minute, zwei Minuten, eine kleine Ewigkeit, die wie jener Moment nach dem letzten Glockenschlag klingt, in dem man wider besseren Wissens auf einen weiteren wartet. Die Spannung in der Luft ist beinahe magisch, auf jeden Fall kurz davor, sie mit den Händen greifen zu können, und dennoch rührt sich keiner, um nichts zu verderben und dem 34-jährigen Jazz-Prediger vorzugreifen, der im Kleinkunsttempel eine Messe zelebriert. Und wartet, bis selbst die Stille beinahe verklungen ist. Dann meldet er sich wieder zu Wort, lässt sein Saxofon singen, nein schreien, so als ob alle Noten, die zuvor nicht gespielt wurden, jetzt alle auf einmal in die Freiheit des Raumes drängen. Dann schweigt er wieder, weil er es kann. Und weil auch das Nicht-Spielen zum Jazz gehört.
Das „Over the Border“-Festival hat in den vergangenen fünf Jahren schon viele phänomenale Künstler nach Bonn geholt, doch Jowee Omicil ist eine Nummer für sich. Sein Spiel ist klar, wild und vor
allem spirituell, so wie es einst John Coltrane mit „A Love Supreme“ vorgelebt und Paroah Sanders fortgeführt hat. Für ihn sind Konzerte immer auch eine „Communion of Love“, ein Abendmahl der
Liebe für die Menschheit und für die Musik, und er als selbsternannter Priester sorgt dafür, dass auch jeder das versteht. Immer wieder bezieht er seine Gemeinde mit ein, singt oder spielt ihnen
Phrasen vor, die sie wiederholen soll, peitscht sie auf und setzt dann wieder seine herrlichen Soli dagegen, die seine Virtuosität ein ums andere Mal unterstreichen. Dabei erweist sich Omicil als
überaus vielseitig, verknüpft er doch afrikanische und jamaikanische Rhythmen mit klassischen Melodien und Einwürfen im Stil von Thelonius Monk und Miles Davis, geht auch mal darüber hinaus und
weiß dabei eine starke Band im Rücken, die ihm alle Freiheiten lässt.
Im Vorfeld hat schon Banda Nova auf eine ganz andere Weise für Begeisterung gesorgt. Die Musiker der früheren Thiago Gois Band haben sich nach dem Wegzug ihres Bandleiters und Namensgebers
kurzerhand mit Sängerin Filippa Gojo zusammengetan, um sich der brasilianischen Musik zu widmen, vor allem den Werken von Antonio Carlos Jobim und Hermeto Pascoal. Eine exzellente Konstellation:
Gojo ist schon seit ihrer Jugend von dem lateinamerikanischen Land fasziniert und versteht es bestens, die Lieder zu präsentieren oder mit Scat-Gesang zu verzieren, während Bassist Jacob Hirsch,
Pianist Moritz Preisler und der herausragende Drummer Johannes Pfingsten derzeit sicherlich zu den Bonner Musikern gehören, von denen man noch viel hören wird. Vervollständigt wird die Formation
durch Jazz-Flötist Michael Heupel. Gemeinsam gestalten die Fünf ein starkes, groovendes Konzert, das zwar nicht in die Sphären von Jowee Omicil vorstößt (und das auch gar nicht will), das
Publikum aber dennoch restlos überzeugt. So kann es mit „Over the Border“ ruhig weitergehen.
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