Bowls gehen immer. Die Veröffentlichung von geometrischem Essen in Schüsseln scheint einer der neuesten Trends der sozialen Medien zu sein, einer, bei dem neuerdings auch Rainald Grebe mitmacht. Und das Konzept in der Bonner Oper kurzerhand weiterdenkt. Schließlich kann alles Bowl sein oder zumindest Bowl werden: Der Reichstag etwa oder Pierre Bowlcuse. Man kann sogar sein gesamtes Leben am transzendierten Bowling ausrichten, entkommt so Ecken und Kanten und dem großen Durcheinander. Auf einmal ist alles klar, offenbart sich doch die Struktur im scheinbaren Chaos. Alles andere wird nebensächlich, das Verhältnis von Wahrheit und Lüge, Leben und Tod, nationaler Identität und dem verbotenen N-Wort.
Resignation und Wehmut angesichts so mancher Zustände in diesem unseren Land sind überflüssig geworden – auch dafür gibt es Bowls. Und Zustimmung aus dem Netz. Also postet Grebe eben im Dienste der Klickkultur Schüsseln, auch wenn er sich mitunter gerne in selbige übergeben würde. Ist allemal besser als die Alternative. Oder?
Seit Beginn der Reihe „Quatsch keine Oper“ ist Rainald Grebe immer wieder zu Gast in der Bundesstadt. Hier schätzt man ihn, den Dadaisten mit Tiefsinn, der hinter seinen freien Assoziationsketten
so manches Problem anspricht. Auch für sein aktuelles „Münchhausenkonzert“ hat er sich wieder die Clownsmaske aufgesetzt – doch wie schon beim „Elfenbeinkonzert“ weist diese Maske Risse auf.
Tiefe Risse. Die Corona-Pandemie hat Grebe zugesetzt, insbesondere der Umgang mit der Kultur. „Ich stand mit meiner Tochter vor der Kita und sie durfte nicht hinein, weil ihr Vater unwichtig
ist“, sagt er. Auf der anderen Seite gilt die Kultur als gesichert, weil es ja in jedem Waschsalon Comedy und in jedem Torfmoor eine Technoparty gibt und weil doch so viel diskutiert wird über
Sitzkultur und Witzkultur und Hasskultur und Spaßkultur. Alle beklagen den Kulturverfall, dabei ist die Kultur doch überall – so einfach kann man es sich machen. Oder so schwer. Genau darunter
scheint Grebe zu leiden, wenn er zu einem Abgesang auf eine „sterbende Branche“ ansetzt. Doch es steckt noch mehr dahinter. Grebe leidet an einer Autoimmunerkrankung, die Schlaganfälle auslösen
kann. Sechs hat er schon überstanden, wie er zuletzt in Interviews sagte; seitdem schwingen Tod und Abschied in vielen seiner Lieder mit. „Wir fahren wieder auf Tournee“, singt er, „fragt sich
nur wie lange noch“.
Diese Offenheit ist ungewohnt – für viele Menschen ist die Endlichkeit ein Tabuthema. Doch vielleicht ist das einer der Gründe, warum Rainald Grebe neuerdings mit der Wahrheit ringt, mit der
eigenen ebenso wie mit der anderer. „Impfen schadet der Gesundheit“, „Die Versorgung mit Kultur ist gesichert“, „Wir sind das Volk“', ja klar. „Franz, ich will die alten Lügen wieder hören“, ruft
Grebe seinem Techniker Franz Schumacher zu, der immer wieder als Ansprechpartner herhalten muss. Die alten Lügen. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.“ Das wollte man damals wenigstens
noch glauben. Oder auch diese: „Alles wird gut.“ Ja, die Hoffnung ist die älteste aller Lügen. Aber auch die schönste.
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