Kabarett ist tot. Sagt zumindest Christine Prayon. Bei gläsernen Menschen gibt es schließlich nichts mehr, das die Satire sichtbar machen kann, Kritik ist ohnehin derzeit nicht sonderlich beliebt, und Witze kann man über die aktuelle Situation ohnehin nicht mehr machen. Also bleibt nur ein Schlussstrich. Yogalehrerin, das ist Prayons neuer Plan, wie sie im Pantheon offenbart. Das tut keinem weh und bewahrt das Publikum gleichzeitig vor zwei Stunden sinnlosem Kabarett. Zwei Minuten, danach ist die 47-Jährige fertig. Und schweigt. Doch das Denken, das kann selbst sie nicht abstellen. Also grübelt sie über alternative Gesellschaftsformen – und fängt jetzt erst so richtig an.
„Abschiedstour“ hat Prayon ihr aktuelles Programm genannt, und selten war ein Titel so irreführend wie dieser. Zum Glück, denn kein anderer Kabarettist und keine Kabarettistin sind derzeit so gut
wie die gebürtige Bonnerin, so eloquent, so tiefsinnig und so vielschichtig. Was Prayon auf die Bühne bringt, ist wirklich ganz große Kunst, mit komplexem Meta-Theater, aufrüttelnder Rhetorik und
vor allem weitgehend ohne Pointen. Schluss mit lustig. „Wenn man noch Kabarettist wäre, müsste man jetzt über Transformation reden“, sagt sie. Den Wandel fordernd, mit einer Utopie als
unerreichbares Ideal und als Motor für neue Denkprozesse, die im Kleinen schon funktionieren. Car- und Food-Sharing und Open-Source-Projekte zeigen ja, was möglich ist, ohne gleich große
Hierarchien aufzubauen. Schade nur, dass der Mensch zu sehr Raubtier ist, um diese Modelle auf nationaler und globaler Ebene umzusetzen, als Kommunismus in Reinform, ohne die Macht-Elite, die
sich unweigerlich bildet. Nein, so geht das nicht. „Aber es ist eine schöne Idee.“
Weiter und weiter spinnt Christine Prayon das Thema und öffnet die Bühne auch für andere von ihr gespielte Gestalten, allen voran der Größte Comedian Aller Zeiten (GröCoZ), ein Proll ohne Moral,
hinter dem mehr steckt, als man zunächst vermutet. „Heute wird gelacht und nicht gedacht“, ruft er. Doch dahinter verbirgt sich der ultimative Opportunist der Unterhaltungsindustrie, ein
käuflicher Wendehals, der sich seine Pointen vorgeben lässt und auch dazu steht. „Die Leute können ruhig denken, ich sei ein Arschloch, so lange sie sich nur mit mir identifizieren“, sagt er. Was
auch funktioniert, selbst auf dieser transparenten Meta-Ebene: Seine extremsten Aussagen ernten doch tatsächlich auch im Pantheon ein – zugegebenermaßen ungläubiges – Gelächter, während Prayon
mit ihren philosophischen Ansätzen nur Schweigen erntet. Gleiches gilt für die bitterbösen Nachrichten, die eine namenlose Sprecherin immer wieder verliest und die Einblicke gewähren in absurd
erscheinende Dystopien, denen wir aber leider näher sind als uns lieb sein dürfte. „Mir fehlen die Tränen“, beklagt Prayon irgendwann mit Verweis auf die schrecklichen Bilder aus dem Mittelmeer
oder aus jenen Ländern, in denen immer noch Kindersoldaten in einen Krieg geschickt werden, den sie nicht verstehen und den sie selbst gar nicht kämpfen wollen. Eigentlich müssten uns diese
Geschichten nahegehen. Doch das Bauchgefühl lehnt ab. „Tu gar nichts“, sagt es, „und wenn doch, dann tu etwas für dich.“
Gnadenlos reißt Christine Prayon die dünnen Mäntel der Selbsttäuschung von den Menschen, nicht anklagend, aber gerade deswegen besonders schmerzhaft. Gleichzeitig zerlegt sie Comedy und
Poetry-Slam, kritisiert Mittelmaß und Mainstream, Anbiederung und Bequemlichkeit. Gelacht wird in diesen Momenten kaum, und wenn doch, bleibt es im Halse stecken. Über vieles könnte, sollte,
müsste man nach diesem Programm diskutieren, mit vielem hat Prayon leider recht. Nur mit einer Aussage liegt sie daneben: Kabarett ist nicht tot. Sie selbst ist der lebende Beweis dafür.
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