Das Hauptziel des Kapitalismus ist Wachstum. Mehr, immer mehr muss her, mehr Konsum, mehr Leistung, mehr Wohlstand. In der Vergangenheit haben die so genannten westlichen Nationen mit diesem Ansatz viel erreicht – doch so langsam wird die Luft dünn. Vor allem, wenn man Ulrike Herrmann glauben darf. Die Wirtschaftskorrespondentin der taz war jetzt zusammen mit dem Kabarettisten Jürgen Becker im voll besetzten Pantheon zu Gast, um darüber zu diskutieren, ob kein Kapitalismus tatsächlich auch keine Lösung wäre, und warum der Klimaschutz bei der Beantwortung dieser Frage eine zentrale Rolle einnimmt.
Für Herrmann ist der Fall klar: Der Kapitalismus ist viel besser als sein Ruf. Ohne ihn würde es den Wohlstand, an den wir uns längst so gewöhnt haben, nicht geben, und ohne diesen weder die
moderne Demokratie noch die Gleichberechtigung. Gut, bei ersterer mangelt es mitunter an der Umsetzung, und letztere ist trotz vieler Fortschritte immer noch eine Utopie, aber egal. Der Punkt
ist, dass der Kapitalismus für Industrie und Handel geradezu überlebenswichtig ist. Dumm nur, dass er sich auf Dauer nicht wird halten lassen, zumindest wenn die Welt es mit den Klimazielen und
der Energiewende ernst meint. Denn beides zusammen gehe nicht, sagt Herrmann, weil Ökostrom zwar gut klinge, aber nicht unbegrenzt verfügbar sei. Und begrenzte Rohstoffe führen nun eben
unweigerlich zu einem Schrumpfen. Einem „grünen Schrumpfen“.
Auch das klingt auf den ersten Blick nicht so schlimm, wie auch Jürgen Becker findet, der ja eh wie viele seiner Kollegen nur zu gerne Kapitalismuskritik übt, dabei aber allzu oft – und das
mitunter ganz bewusst – auf irgendwelche Polemiken zurückgreift. Natürlich holt er irgendwann die Wirecard-Keule heraus, mit der sich derzeit jedes positive Argument für das geltende
Wirtschaftssystem niederprügeln lässt, so dass sich Herrmann geradezu gezwungen sieht, für den Kapitalismus in die Bresche zu springen. Dabei will sie diesen ja eigentlich überwinden, will ihn
transformieren, weg von einer Linear- hin zu einer Kreislaufwirtschaft, in der möglichst viele Rohstoffe wiederverwertet statt weggeworfen werden und in der regenerative Energien ausreichen, um
Deutschland klimaneutral zu machen. Doch der Weg dahin ist schwierig, vor allem da schon der Aufbau einer grünen Infrastruktur alles andere als CO2-neutral wäre. Es müssten also an anderer Stelle
Einsparungen vorgenommen werden, und die würden eben kein Wachstum generieren. Sondern das Gegenteil.
Charmant im Ton und meist klar in der Argumentation deutet Ulrike Herrmann so den siechenden Tod des Kapitalismus an, während Jürgen Becker zur Auflockerung des doch sehr intellektuellen Abends
ab und zu ein paar Kalauer beiträgt und zwischendrin sogar eine Art selbstfahrender Sammeltaxen als Lösungsvorschlag unterbreitet. Ob das reichen würde, sei dahingestellt. Herrmann wiederum
bringt eine private Planwirtschaft als Übergangslösung ins Gespräch, angelehnt an die britische Kriegswirtschaft während des Zweiten Weltkriegs. Keine schöne Perspektive. Aber vielleicht eine
notwendige. Das müsste letztlich allerdings die Politik entscheiden. Und zu deren Kompetenz haben Kabarettisten in der Regel noch mehr zu sagen als zum Kapitalismus.
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