Man sollte einen Musiker nicht nach seinem Äußeren beurteilen. Miller Anderson zum Beispiel, der ehemalige Sänger und Gitarrist der Keef Hartley Band und mit 77 Jahren ein echtes Urgestein der britischen Bluesrock-Szene, hat in den vergangenen Jahren ein bisschen abgebaut und spielt nur noch im Sitzen, eine Kappe auf den schneeweißen Haaren tief ins Gesicht gezogen – doch wenn er loslegt, gibt es keinen Zweifel daran, dass der Schotte noch immer genug Kraft hat, um richtig zu rocken. In der Harmonie hat er sich auf jeden Fall bravourös geschlagen, auch – aber nicht nur – dank einer starken Band im Rücken.
Erstaunlicherweise hat sich Anderson für sein Konzert in Bonn fast ausschließlich bei anderen Formationen bedient und nicht bei den Songs der fünf Alben, die unter seinem eigenen Namen erschienen sind. Einzig „High Tide and High Water“ stammt von ihm, und natürlich „Overdog“, der Titeltrack der gleichnamigen Keef-Hartley-Platte. Ansonsten bedient Anderson sich bei Blues-Veteranen wie Sleepy John Estes („Leaving Trunk“) oder Willie Dixon („Hoochie Coochie Man“), wobei letzteres vom exzellenten Keyboarder Frank Tischer interpretiert wurde; dazu kommen Traditionals wie eine starke Version von „House of the Rising Sun“, der Spencer-Davis-Group Klassiker „I'm a man“ und Deep Purples „When A Blind Man Cries“. Diese Ballade, so erzählt Anderson, hat ihm einst Jon Lord bei einer gemeinsamen Tour aufs Auge gedrückt, um das Publikum anzuheizen. „Er nannte mich immer 'Piper', wegen meiner schottischen Herkunft“, sagt er und lacht. „In den Kriegen wurden die Dudelsackspieler ja immer vorweg geschickt...“ Andererseits hat Anderson es meisterhaft verstanden, den Song zu seinem eigenen zu machen, anstatt den Gesang von Ian Gillan und das Gitarrenspiel von Richie Blackmore zu kopieren. „Das hätte ich ohnehin nicht geschafft, schon gar nicht gleichzeitig“, gesteht er und muss wieder lachen.
Ja, Miller Anderson scheint es auf der Bühne wirklich gut zu gehen. Er zelebriert seine Songs, genießt sowohl die Verse als auch die Soli, denen er jede Menge Platz einräumt, sehr zur Begeisterung des Publikums. Immer wieder jagt entweder Anderson über die Saiten oder Frank Tischer über die Tasten, und beiden gelingt es stets, die Titel modern und kraftvoll klingen zu lassen. Herrlich etwa Andersons Interpretation von Tony Joe Whites „Willie and Laura Mae Jones“, und noch besser das druckvolle „Overdog“ – von dieser Nummer können viele moderne Rockbands noch etwas lernen. Eine von ihnen hat in der Harmonie übrigens fulminant den Weg für Anderson bereitet: Im Vorprogramm überzeugten T.G. Cooperfield und Band mit Spielspaß sowie vorwärts preschenden Blues- und Rock 'n' Roll-Nummern.
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