Nur wenige Chansonniers werden in Frankreich so sehr geschätzt wie Georges Brassens. Für manche war er DER Chansonnier schlechthin, der Dichter einer ganzen Nachkriegs-Nation. „La mort du poète“, titelte die Tageszeitung „France Soir“ am Tag seines Todes – mehr brauchte es 1981 nicht, um jeden Franzosen wissen zu lassen, wer da gerade von ihnen gegangen ist. Er, der Libertin und Literat, der mühelos das Filigranen mit dem Verruchten zu vermischen verstand, der aufmüpfige Intellektuelle und der selbsternannte Pornograf der Musik, teilweise mit dem einen Bein im Bordell und dem anderen in der Bibliothek. Jetzt hat Jean Faure, seit mehr als 50 Jahren Bonns Lieblings-Chansonnier, Brassens ein komplettes Programm gewidmet und es zusammen mit seinem Orchester im nahezu voll besetzten Pantheon präsentiert.
„Brassens hat mich geprägt, mit seinen Stücken habe ich mir das Gitarrenspiel beigebracht“, so hat Faure schon vor knapp zehn Jahren in einem GA-Interview betont. „Und dann diese Sprache.“ Die
hat Gisbert Haefs kongenial ins Deutsche übertragen, und so kommen im Pantheon auch jene, die des anspruchsvollen Französischs von Brassens nur bedingt mächtig sind, in den Genuss einiger
eleganter und vieler überaus direkter Verse. „Fünfundneunzig von hundert Mal / langweilt sich die Frau koital“, so zitiert Faure mit Schalk in den Augen aus dieser Übersetzung, bevor er
beschwingt „Quatre-vingt-quinze pour cent“ im Original anstimmt. Denn natürlich gehören derartig schlüpfrige Lieder zu einem ordentlichen Brassens-Abend dazu, sei es nun dieses oder das explizite
„Fernande“, in dem sich so mancher einsame Mann schon durch den bloßen Gedanken an gewisse Frauen erregt und erigiert fühlt. Nie nahm Brassens ein Blatt vor den Mund, ließ sich selbigen nicht
verbieten und attackierte genüsslich nahezu jedes Tabu. Seines Rufs war er sich schon 1952 gewiss, als er „La Mauvaise Réputation“ aufnahm, wahrscheinlich seinen ersten Chanson, sagt Faure. Doch
auch die anderen Seiten des Chansonniers zeigt dieser, die melancholische, die romantische, die dankbare. So kommt er einfach nicht an „Chanson pour l'Auvergnat“ vorbei, in dem er einem Ehepaar
gedenkt, das ihm, als er im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter während eines Heimaturlaubs untertauchte, kurzerhand Unterschlupf gewährte. Es sollte eines von Brassens berühmtesten Liedern
werden.
Unterhaltsam führt Jean Faure das Publikum in die Welt von Brassens ein, mit den ihm eigenen charmanten Moderationen und seinem warmen, weichen, gefühlvollen Gesang, mit dem er jeden einzelnen
Chanson öffnet und ausfüllt, belebt und ausgestaltet. Ergänzt wird das Repertoire durch den ein oder anderen Titel von Wegbereitern und Wegbegleitern: Charles Trenet ist mit „La Mer“ und „Le
Soleil et La Lune“ gleich mit zwei Meisterwerken vertreten, dazu kommen unter anderem Boris Villon, Jacques Brel und Barbara. Jedeem einzelnen dieser großen Namen wird Jean Faure mühelos gerecht,
auch dank der fantastischen Arrangements seines Orchesters, das ihn seit Jahren begleitet und die Chansons mit feinen Strichen grundiert, mal ganz reduziert wie bei Brels traumhaftem „La chanson
des vieux amants“, mal augenzwinkernd mit Möwen-Geschrei vom Bass bei „La Mer“ und gerne auch entspannt swingend wie bei „Le Vent“. Das mag ein Bruch mit Brassens sein, der seine Stücke
ausschließlich mit Gitarre und Bass instrumentierte – aber letztlich zeigt dies nur, dass auch ein großer Chansonnier im richtigen Rahmen noch besser werden kann.
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