Von oben sieht die Welt so friedlich aus. Ein blaues Juwel in der Schwärze des Weltraums, ein winziger Fleck voller Leben, den es mit aller Macht zu schützen gilt. Was auch gelingen kann, wenn man nur fest genug daran glaubt. So wie Udo Lindenberg, der im Rahmen seiner „Udopium“-Tour wieder auf die Erde zurückkehrt, stilecht mit einer Landekapsel wie ein Botschafter aus dem All. In der ausverkauften Kölner Lanxess Arena hat der 76-Jährige bei gleich zwei Konzerten seine Vision einer friedlichen, bunten Welt geteilt, die heutzutage ferner denn je zu sein scheint und an der man dennoch festhalten muss. „Trotz allem Realismus dürfen wir die Utopien niemals aufgeben“, betont Lindenberg – und unterstreicht seine Botschaft mit einer eigenwilligen, exzessiven, atemberaubenden Show, die keiner in der Halle so schnell vergessen wird.
Haltung hat Lindenberg schon immer bewiesen, hat sich klar gegen Rechts positioniert und für jene Ideale, die seit der Französischen Revolution in jedem demokratisch geprägten Staat gelten sollten und die doch so selten gelebt werden: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind für die Rock-Legende nicht nur Worte, sondern Maximen, an denen er sich und seine Kunst stets ausgerichtet hat. Mit der aktuellen Tour macht er dies einmal mehr deutlich. Immer wieder greift er diese Themen in der ihm eigenen Bildsprache auf, gerne satirisch überzeichnend, auch mal bewusst provozierend, aber immer eindeutig formulierend. Ausgerechnet mit „Ich brech' die Herzen der stolzesten Frauen“ kommentiert Lindenberg die Missbrauchsskandale in der katholischen (und evangelischen) Kirche und lockert gleichzeitig das Zölibat, verheiratet als „Panikpriester“ sowohl zwei Priester als auch zwei Nonnen und lässt schließlich die Puppen tanzen, während ein Kardinal sein Kreuz als Posaune nutzt und zur Party aufruft. Es ist ein gigantisches Spektakel mit rund 40 Beteiligten auf der Bühne, mit Panikorchester, Tanz-Ensemble und sogar dem Kinder- und Jugendchor „Kids on Stage“, der Lindenberg bei mehr als einem Stück begleitet und vor allem bei „Wozu sind Kriege da“ und „Komm wir ziehen in den Frieden“ für einen Gänsehaut-Moment sorgt. Immerhin geht es um ihre Zukunft, und im Gegensatz zu Udo haben sie noch nicht genug Geschichten sammeln können, um einen Deal mit dem Tod auszuhandeln.
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Ohnehin macht Udo Lindenberg nicht den Eindruck, als würde er schwächeln und die Last seiner Jahre spüren, auch nicht nach drei Jahren Pandemie und erzwungener Isolation im Hamburger Hotel Atlantic. Noch immer tänzelt er permanent von einem Ende der Bühne zur anderen, vielleicht ein bisschen langsamer als früher, aber doch eher lässig als bemüht, weil er letztlich weiß, dass die ganze Band auf ihn ausgerichtet ist und ihn im Notfall stützen kann. Was allerdings kaum nötig ist. Stattdessen zelebriert Lindenberg das Leben, genießt es geradezu und feiert es mit all den musikalischen Weggefährten, die mit ihm zusammen auf der Bühne stehen. Vor allem mit den beiden Sängerinnen Ina Bredehorn und Nathalie Dorra schäkert er nur zu gerne, posiert aber auch mit seinem Gitarristen und den anderen Mitgliedern seines Panik-Orchesters, die trotz mehrfacher Kostümwechsel mit vollem Klang überzeugen und so ein zweieinhalbstündiges Spektakel der Sonderklasse präsentieren, mit dem nur die wenigsten Künstler aufwarten könnten. Das Publikum ist denn auch restlos begeistert und feiert den Meister des Deutsch-Rocks für seine Musik, für sein Feuer und für seine Aussagen, die heute wichtiger denn je sind. „Stell dir vor, es ist Frieden, und jeder, jeder geht hin“, singt Lindenberg irgendwann. Mit ihm vorneweg als Hohepriester, ist doch klar. Denn ihm, das zeigt der Abend in Köln, ihm würden die Menschen folgen.
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