Es ist nichts ungewöhnliches, dass sich Jazz-Musiker bei der Klassik bedienen. Dass jedoch ein vollständig besetztes Orchester die Werke eines Jazzers spielt, hat immer noch Seltenheitswert, auch weil es eines Komponisten bedarf, der beide Welten gleichermaßen gut zu denken versteht. Jemanden wie Lars Danielsson, der jetzt im Rahmen eines Benefizkonzerts für die Ukraine zusammen mit seinem Quartett Liberetto und dem Beethoven Orchester Bonn (BOB) unter der Leitung von Dirk Kaftan ein furioses Konzert im Telekom Forum spielte und dabei bewies, wie brillant zeitgenössische Musik klingen kann, wie frei und aufstrebend, wie schön und wie bewegend. Bei dieser Gelegenheit stellte zudem die noch recht junge Grizzly Jazz Foundation ihre neue Stipendiatin Kateryna Kravchenko vor.
Danielsson ist als Künstler eine Kategorie für sich. Der schwedische Jazz-Bassist, der mit seinem warmen, melodischen Ton zu den Besten seines Faches gehört, hat ein unglaubliches Gespür für
Melodien und baut seine Stücke konsequent um poetische Motive von bemerkenswerter Schlichtheit und ungeheurer Eleganz. Daraus erwachsen dann fulminante Werke mit opulenter Bildsprache, die an der
Grenze zwischen improvisierter und komponierter Musik eine Brücke nach der anderen schlagen und verbinden, was eigentlich spätestens seit Bach zusammengehören sollte. Im voll besetzten Telekom
Forum stellte BOB-Leiter Kaftan nun dieser nun Stücke von Nikolai Kapustin und George Enescu gegenüber – ein Vergleich, den Danielsson mühelos gewann. Dabei zeichneten sich sowohl das Largo aus
Kapustins Kammersinfonie als auch Enescus erste Rumänische Rhapsodie durch eine hohe Komplexität und technisch anspruchsvolle Stimmen aus, die das BOB souverän meisterte. Vor allem erstere wirkte
aber hinsichtlich Struktur und Dynamik längst nicht so organisch wie Danielssons orchestrale Stücke, die beim Publikum immer wieder für Jubelstürme sorgten.
Natürlich konnte eine Gala nicht ohne Zeremonie auskommen, so sehr dies auch das Sitzfleisch der Gäste strapazierte. Die erfreulicherweise ebenso kurzen und wie leidenschaftlichen Reden von
Oberbürgermeisterin Katja Dörner und Telekom-Chef Timotheus Höttges zu Beginn des Konzerts ließen die Zeit allerdings nicht allzu lang werden, und auch die offizielle Vergabe des
Grizzly-Stipendiums an Kateryna Kravchenko, die mit ihrer warmen, weichen, sanften Stimme nahtlos an ihre Vorgängerin Alma Naidu anknüpfen dürfte, blieb erfreulich kompakt. Immerhin sollte der
Fokus auf der Musik liegen, auf dem pulsierenden „Liberetto“ etwa oder dem verträumt-romantischen „Granada“, zu dem Kravchenko ein paar Zeilen in ihrer Landessprache beisteuerte. Auch an anderer
Stelle war der Bezug zu dem russischen Angriffskrieg und dem Schicksal der Ukraine deutlich. So hatte Danielsson schon vor einiger Zeit eine Nummer zu Ehren der Stadt Lviv geschrieben, in dem er
und sein Quartett einst mit dem dortigen Sinfonieorchester spielten – ein Projekt, das in diesem Jahr eigentlich wiederholt werden sollte. Was blieb, war das umwerfende „Lviv“, bei dem sowohl
Pianist Grégory Privat als auch der einstige e.s.t.-Schlagzeuger Magnus Öström brillierten. Noch stärker waren allerdings „The Fifth Grade“ (mit einer Glanzleistung des gesamten Orchesters) und
die furiose „Passacaglia“, an die sich eines der gefühlvollsten, intensivsten Bass-Soli aller Zeiten anschloss. Was für eine Musik.
Mit dem Konzert haben die Telekom, die Grizzly Jazz Foundation, Lars Danielssons Liberetto und die Stadt Bonn mit ihrem Beethovenorchester ein eindrucksvolles Zeichen der Solidarität in Richtung
Osten geschickt. Sämtliche Eintrittsgelder sind ebenso wie zusätzlich gesammelte Spenden für die Aktivitäten der UNO-Flüchtlingshilfe in der Ukraine bestimmt; eine konkrete Summe soll Anfang der
Woche bekannt gegeben werden. Doch ein ganz besonderes Stück ging an diesem Abend an eine andere Adresse: Anlässlich des 60. Geburtstags von Timotheus Höttges vor einigen Tagen hatte das BOB
diesem ein Medley mit einigen Lieblingsmelodien und -motiven geschrieben, ein Geschenk, das den Konzern-Chef sichtlich rührte.
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