Bewegte Zeiten stellen Kabarettisten vor immense Herausforderungen, zumindest wenn sie aktuell sein wollen. Einmal umgedreht, schon hat sich die Weltlage wieder verändert – also alles neu schreiben. Was insbesondere bei einer Radio-Aufzeichnung, die erst anderthalb Wochen später ausgestrahlt wird, ein klitzekleines Zeit-Problem aufwirft. Dennoch haben die Künstlerinnen und Künstler, die am vergangenen Donnerstag beim WDR Kabarettfest im Pantheon aufgetreten sind, die Herausforderung angenommen und zumindest die ein oder andere Pointe gewagt, die schon überholt sein könnte, wenn sie denn endlich über den Äther geht. Das Live-Publikum hat schlichtweg nicht weniger verdient. Und der Ruf der Künstlerinnen und Künstler erst recht nicht.
Der Stil von Katie Freudenschuss verzeiht in dieser Hinsicht noch am meisten. Ihre bissigen Lieder bringen ohnehin eine gewisse Zeitlosigkeit mit, verlangen gar nicht so sehr nach Aktualität und zeichnen lieber den Weg eines verwirrten Jungen in die Welt der Verschwörungstheorien nach – eine extrem starke Nummer, wunderbar warm gesungen und überaus feinfühlig getextet. Dagegen wirkt die Umdichtung des Schlager-Klassikers „Ich will Spaß“ zu „Ich brauch Gas“ fast schon plump, trifft aber ins Schwarze. Manchmal muss man eben direkt sein. Jean-Philippe Kindler nennt das „mehr Ruhrgebiet wagen“ und meint damit das Gegenteil von Olaf Scholz. Einfach mal laut sein und auf den Tisch hauen. Denn wie kann es sein, dass zwar 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr einfach aus der Portokasse gezogen werden, eine Anschlussfinanzierung des Neun-Euro-Tickets aber laut Finanzminister Christian Lindner an mangelnden Mitteln scheitert? „Es wird so getan, als ließen sich Krisen und Probleme heutzutage nicht mehr politisch lösen“, sagt Kindler, der insbesondere auf den Neoliberalismus schießt, und zwar scharf.
Artikel wird unten fortgesetzt
Mit dem Geld für die Bundeswehr setzen sich auch Rainer Pause und Norbert Alich beziehungsweise ihre beiden polternden Alter Egos Fritz Litzmann und Hermann Schwaderlappen auseinander. Sie fragen
sich vor allem, was man damit jetzt wohl anstellt. Kasernen sanieren? Wenn das so geht wie bei der Beethovenhalle, reicht das Vermögen nicht lange vor. Waffen kaufen? Wahrscheinlich aus
Deutschland? Und dann? Mit denen kann doch keiner umgehen. „Wir haben schließlich all unsere Waffen immer weggegeben, damit niemand mehr vor uns Angst hat“, sagt Litzmann. Pazifismus durch
Waffenhandel. Und jetzt, wo der Russe tatsächlich vor der Tür steht, erwischt der die Deutschen mit heruntergelassener Hose – und ohne Unterwäsche, die fehlt bei der Bundeswehr ja auch.
Während alle anderen einschließlich des gewohnt starken Moderators Tobias Mann an diesem Abend durchaus politisch sind, hält sich Frank Goosen zurück und tut das, was er am Besten kann: Grandiose
Geschichten erzählen, aus der eigenen Jugend, damals, als man über die neue John-Lennon-Platte noch auf dem Schulhof diskutierte und über den akustischen Orgasmus von Yoko Ono auf der B-Seite.
Das gelingt dem Pott-Poeten so nonchalant, dass es ein Genuss ist. Auch das ist „mehr Ruhrgebiet wagen“. Sollte man unbedingt tun.
Kommentar schreiben