Ach ja, die alten Fragen. Wer bin ich, wo bin ich, und vor allem warum bin ich? Wer für sich selbst eine Antwort auf diese Fragen gefunden hat, ist auf der Suche nach einem Platz in dieser Welt schon ein ganzes Stückchen weiter. Doch gerade in der Pandemie ist das Gefüge durcheinander gekommen, ist die Realität den Menschen entrückt und seitdem verrückt. Also ist Hilfe nötig, so wie jene, die der Bonner Kabarettist und Poetry-Slammer Philipp Scharrenberg anbietet. Er will in einer Art Abendkurs zusammen mit seinem Publikum die fremd gewordene Realität neu erarbeiten – und letztlich die Zufriedenheit als Grundfunktion der Menschheit wieder herstellen. Was gar nicht so einfach ist. Schon gar nicht mit Reimen.
Ein komplexeres Thema hätte sich Scharrenberg, der jetzt wieder im Haus der Springmaus zu Gast war, für sein insgesamt viertes Programm kaum aussuchen können. Doch erfreulicherweise geht sein Konzept auf, die Realitätsfrage eng mit der zum zunehmenden Einfluss der Digitalisierung zu verknüpfen und schlaglichtartig zu beleuchten, wie sich die Wahrnehmung durch Bits und Bytes verändert, reduziert auf Likes und Nicht-Likes, also auf Nullen und Einsen. Graustufen? Fehlanzeige. Und wer Dinge hinterfragt, wird vom kleinen Mob so lange mit Kommentaren bombardiert, bis selbst die Neutralität als käuflich wird. Letzteres nimmt Scharrenberg zum Anlass für eins seiner durchaus intelligenten Gedichte, die allerdings mitunter an einem sklavischen Paarreim-Zwang leiden. Ohnehin bemüht sich der 46-Jährige zu sehr darum, seine Verse cool wirken zu lassen, etwa indem er dazu tanzt oder dem Hip Hop huldigt – was beides nicht wirklich hilft. Dabei hat Scharrenberg beides nicht nötig. Er müsste nur der Kraft seiner Dichtkunst vertrauen, um mit dieser gegen „wohlstandsverwarloste Blasen aus Ego“ und „Nicht-mein-Problem-Felder“ vorzugehen. Immerhin verbirgt sich hinter der bemüht konstruierten Versschmiedekunst eine ebenso klare wie differenzierte Haltung, die auch ohne besondere Hervorhebungen im Vortrag deutlich wird. „Das Wort ist mein Sport“, behauptet er direkt zu Beginn, nur um sich sogleich in benachbarten Disziplinen anzurackern, statt einfach auf die Grundfunktion der Poesie vertrauen und zufrieden sein mit dem, was die alleine leisten kann. Das reicht doch und entspricht ohnehin ganz dem Scharrenbergschen Ansatz. Zurück zum Wesentlichen, weg mit allen ablenkenden Erweiterungen. Dann klappt's auch mit der Realität. Hoffentlich.
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