„Keine halben Sachen“: Poesie im Wasserglas

Zeit ist relativ. Fünf Stunden soll die neue GOP-Show „Keine halben Sachen“ nach Aussage von Moderator Marcel Kösling dauern; tatsächlich sind es dann doch nur zweieinhalb, inklusive Pause. Die Länge ist allerdings auch der einzige Aspekt, auf den der Titel dieses charmanten Varieté-Programms nicht zutrifft. In allen anderen Belangen geht das Ensemble aufs Ganze – und das mit Erfolg. Exzellente Artistik trifft auf überaus unterhaltsame Comedy, poetische Pantomime auf atemberaubende Akrobatik, inklusive einer Nummer, die so noch nie im GOP zu bewundern war. Eine Mischung, die sich sehen lassen kann.

Wie so oft im Varieté steht und fällt eine Show mit der Wahl des Moderators. Mit Marcel Kösling hat das GOP nun einen Volltreffer gelandet. Der 36-Jährige biedert sich weder an noch zwingt er sich auf, hat ein Händchen für Menschen und fürs Timing gleichermaßen und plaudert derart entspannt mit dem Publikum, dass seine mitunter doch recht langen Innuendos wie im Flug vergehen. Eben alles relativ. Gleichzeitig erweist er sich als versierter Zauberkünstler, der selbst scheinbar banale und schon oft gesehene Tricks so sympathisch verpackt, dass es einfach Spaß macht, ihm dabei zuzusehen. Und ja, natürlich braucht er für eine nicht ganz ungefährliche Nummer auch mal Hilfe aus dem Publikum. Mehr soll an dieser Stelle aber nicht verraten werden. Immerhin: Bei der Premiere ging alles glatt. Was schon viel wert ist.

Die großen Höhepunkte setzen derweil die Akrobaten, die vor allem in der zweiten Hälfte aufdrehen und schier Unglaubliches zeigen. Spannend vor allem Svetlana Wottschels Auftritt in einer so genannten Luftkugel, deren zwei bewegliche Hälften nur durch Körperspannung zusammengehalten werden; phänomenal die Kontrolle des Duo Karpovich, das auf der vergleichsweise niedrigen Bühne des Bonner GOP eine Schleuderbrett-Nummer mit einigen waghalsigen Salti und Sprüngen wagt; und absolut wahnsinnig die Rollschuhakrobatik von Maryna Sakhokiia und Chris Tees, bei der letzterer seine Partnerin in einer Wellenbewegung herumschleudert, die ihren Kopf immer wieder auf Kollisionskurs mit dem Boden bringt. Das ist Kunst am Limit, an den Grenzen des körperlich Leistbaren. Chapeau.

Ergänzt wird das Programm durch eine sinnliche Strapatennummer von Carola Serrano und Fabian Galouye, eine heiße Hula-Hoop-Performance der feurigen Brasilianerin Jessica Savalla – und durch die wortlose Kunst von Silent Rocco. Dieser hat die Pantomime in eine poetische, moderne Form überführt und erzählt ganz ohnen Klamauk und Clownerie faszinierende Geschichten über Kleidungsstücke mit eigenem Willen (die Parallele zum „Zauberlehrling“ passt dabei hervorragend) und über die große Welt im kleinen Wasserglas. Vor allem letzteres ist ganz großes Kino, die abstrakte Idee umgesetzt mit brillanter Körpersprache und gefühlvoller Lichtsetzung. Mit solchen Nummern hätte die Show auch ruhig fünf Stunden dauern können. Sie wäre es wert gewesen.

 


Termine: „Keine halben Sachen“ läuft bis zum 8. Januar 2023 im GOP Bonn. Vorstellungen finden jeweils Mittwochs bis Sonntags statt. Karten erhalten Sie unter www.variete.de oder unter 0228 422 41 41.

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