Eine unbeantwortete Frage in Dauerschleife, allerlei historische und fiktive Fragmente und eine Inszenierung, die alle Erwartungen erfüllen möchte und letztlich keine bedient: Je nachdem, welchen Besucher man an diesem Freitagabend im Schauspielhaus Bad Godesberg fragt, ist Rainald Grebes theatrale Collage „Hotel Godesberg“ wahlweise ein Debakel oder ein Geniestreich, eine Meisterleistung oder ein Armutszeugnis. Rund zwei Stunden lang hat der gefeierte Kabarettist, der in seinen Solo-Programmen konsequent auf der Grenze zwischen feiner Satire und brachialem Blödsinn balanciert (und immer wieder in letztere zu taumeln droht), Prominenz auflaufen und Einheimische erzählen lassen, hat mit Banalitäten und Absurditäten gespielt und allerlei szenische Schnipsel zusammengefügt, die durchaus für die Stadt stehen und die doch in ihrer Gesamtheit für nicht mehr reichen als für eine rudimentäre Skizze eines Außenstehenden. Was so manchem Zuschauer reicht. Und anderen nicht einmal ansatzweise.
Historisch gesehen hat Bad Godesberg viel zu bieten, sowohl während der Weimarer als auch der Bonner Republik war es Versammlungsort der Schönen, der Mächtigen und der Reichen. Charlie Chaplin,
Marlon Brando, Marlene Dietrich, Queen Elisabeth II und Kaiserin Sissi: Die Liste ließe sich nahezu beliebig verlängern. Sie alle waren einst zu Gast im „Hotel Godesberg“ (natürlich angelehnt an
das Hotel Dreesen, dem das ZDF ja erst zuletzt einen Zweiteiler widmete), das mit einem opulenten Bühnenbild am Theaterplatz wiederaufersteht. Wer jedoch jetzt einen geschichtlichen Abriss jener
Jahre erwartet, wird ebenso enttäuscht werden wie jene, die einen Diskurs über die gegenwärtigen Probleme erhofft. In die Tiefe gehen, das gehört wahrlich nicht zur Arbeitsweise Rainald Grebes.
Der 51-Jährige kratzt meist nur an der Oberfläche, hat aber zugleich ein Händchen dafür, aus den so freigelegten Schichten ein lakonisches Stück Regionaltheater zu machen, das gerade dadurch,
dass es nicht mehr sein will, alle Freiheiten gewährt. Für Grebe bedeutet das unter anderem, auch mal schamlos bei „Der große Diktator“ zu klauen und Hitler mit einer großen Kugel tanzen zu
lassen, Hans Fischerkoesens heutzutage abstrus wirkenden Underberg-Werbefilm „Durch Nacht zum Licht“ zu zeigen und allerlei Volkslieder (etwa Willy Schneiders „Wenn das Wasser im Rhein goldner
Wein wär“) mit feinen Melodien neu zu vertonen. Das führt bei der Premiere immer wieder zu Szenenapplaus, umso mehr dann, wenn ein paar Godesberger Bürger als Laiendarsteller aus ihrem Leben
erzählen. Ob das allerdings immer so geschickt ist, sei dahingestellt: So manche Passagen über Kaffeefahrten von Demenzkranken oder „Benimm“-Stunden in einer Essener (!) Tanzschule gehören zu den
überflüssigsten Einfällen des Abends, und der Aufruf zur illegalen Besetzung der Godesberger Stadthalle erscheint bei allem Verständnis für die Sache ebenfalls verfehlt.
Glänzen kann „Hotel Godesberg“ dagegen immer dann, wenn das exzellente Ensemble – allen voran Christoph Gummert – befreit aufspielen darf und nicht gerade von einer Rolle in die nächste hüpfen
muss, sondern als Bedienstete der besagten Luxus-Herberge das verrückte Treiben aus dem Hintergrund kommentieren darf, gerne ohne Worte, aber doch meistens auf den Punkt. Gummert sowie Sophie
Basse, Wilhelm Eilers, Ursula Grossenbacher und Sören Wunderlich bringen die irren Ideen Grebes zusammen, geben ihnen Konturen und eine Grundierung und stellen die Collage-Schnipsel so erst
in einen rudimentären Kontext. Nur Antworten gibt es nicht, vor allem nicht auf die ewige Frage: „Warum ist es am Rhein so schön“ trällert eine Dame immer wieder, so lange, bis alle anderen der
Bühne entfleucht sind. Wer sich darauf einlassen und den Kopf vorübergehend ausschalten kann, erlebt so einen überaus unterhaltsamen Abend irgendwo zwischen Hommage und Persiflage, voller
Klischees und Anekdoten, vermeintlicher Heimatseligkeit und überbordender Rheinromantik. Was auch mal schön sein kann.
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