c/o pop: Der Mainstream der Zukunft

In Köln-Ehrenfeld klingt es derzeit an allen Ecken. Urbane Grooves treffen auf eindringliches Singer-Songwriting, experimentelle Elektro-Sounds auf die Spielfreude des Indie-Pop: Einmal mehr ist die c/o pop in den Szene-Stadtteil gekommen, um über die Zukunft des Musikgeschäfts zu reden und um einige der aufregendsten Solo-Künstler und Bands vorzustellen. Sie ist ist Musikfestival und Branchentreff, Diskussionsforum und vor allem ein Paradies für Entdecker. In diesem Jahr feiert der Nachfolger der Popkomm seinen 20. Geburtstag und bietet bis einschließlich Sonntag ein spannendes Programm, an dem sich mehr als 20 Clubs, Geschäfte und Dienstleister beteiligen. Die Rundschau hat sich bereits am Donnerstagabend ins Getümmel gestürzt – und einige neue Erfahrungen gemacht.

Gegen 19 Uhr ist es noch leer in den Clubs. Kein Wunder angesichts des schönen Wetters, das viele Kölner genießen. Doch nach und nach füllt sich auch das Yuca direkt am Bahnhof Ehrenfeld. Hinter drei schweren Stahltüren spielt die irische Singer-Songwriterin Susan O'Neill eines der ersten Konzerte des Festivals, während nebenan Rapper Khakikid krachende Sounds auffährt, die man auf dem Gang trotz der dicken Wände hört. Im Herzen des Yuca spielt das zum Glück keine Rolle, und so kann sich der gefühlvolle Pop mit leicht melancholischer Note, den die 33-Jährige pflegt, in Ruhe ausbreiten und das Publikum bezaubern. Was denn auch ein Leichtes ist angesichts einer rauchig-kantigen Stimme, die O'Neill bereits Vergleiche mit Janis Joplin und Amy Winehouse und die Bewunderung von U2-Sänger Bono eingebracht hat. Ihre Balladen haben denn auch trotz reduzierter Instrumentierung eine gewisse Schwere, die aber hervorragend ankommt.

 

Weiter geht es zum Helios 37. Der Club wirkt von außen wie ein verfallener Bunker, auf dessen Wänden sich Sprayer aller Art haben austoben dürfen, und so weit ist das gar nicht von der Wahrheit entfernt. Dafür ist der Laden voll. Kein Wunder, schließlich spielen mit Easy Easy Lokalmatadore. Die Band besteht erst seit drei Jahren und ist damit ein echtes Corona-Kind, mit dementsprechend wenig Live-Erfahrung. Doch das Quintett um Frontmann Carlo Lüdorf lässt sich davon nicht einschüchtern und gibt mit seinem Indie Surf Pop von Anfang an Vollgas. Sonderlich originell ist die Musik zwar nicht, erst recht nicht textlich, aber für gute Laune sorgt sie zweifelsfrei. Das Publikum tanzt, dicht gedrängt und froh, genau dies wieder tun zu dürfen, und sehr viel mehr will Easy Easy gar nicht erreichen. Zumindest noch nicht.

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Draußen hat sich inzwischen eine lange Schlange von Leuten gebildet, die auch noch in den Club wollen und darauf warten, dass Platz geschaffen wird. „Sorry, wir sind voll“, sagt ein Mitarbeiter des Helios 37, als sich jemand vorbeischleichen möchte. Kurz darauf erzählt er: „Wir machen inzwischen zum dritten oder vierten Mal bei der c/o pop mit, und es lohnt sich immer. Vor allem die Konzerte kommen gut an. Wir schauen im Vorfeld immer, welche Bands gut in unser Konzept passen, deshalb haben wir in der Vergangenheit auch mal etwas weniger gemacht. Aber in diesem Jahr sind wir an drei Abenden mit je drei Shows echt gut dabei. Wenn die alle so voll werden wie das von Easy Easy, wäre das klasse.“

Ein paar Meter weiter liegt die Live Music Hall, und was für das Helios 37 galt, ist hier potenziert: Die Schlange der Wartenden reicht bis zum Anfang der Lichtstraße. Drinnen feiern Hunderte den Auftritt von Zimmer90 mit ihrem eingängigen Electro-Indiepop. Das Trio gehört zu den Shooting Stars der Szene, seit ihre Debüt-Single „Movin'“ direkt mehr als eine Millionen Streams generierte. Ihre erste eigene Tour zeigt, dass dieser Erfolg kein Zufall war. Gleiches gilt für die gebürtige Freiburgerin Domiziana, deren Show irgendwo zwischen wildem Rave und Lady-Gaga-Auftritt liegt, ein bisschen queer, ein bisschen woke und ganz schön heiß. Zusammen mit zwei sehr gelenkigen Tänzern verrenkt sie sich zur Musik, im ultrakurzen Outfit mit der Lust am Voyeurismus spielend. Doch die 26-Jährige hat mehr zu bieten als nur Optik. Vor allem bei der Generation Z gibt es wohl niemanden, der ihre erste Single „Ohne Benzin“ nicht mitsingen kann, und die Popularität dieses einen Songs hat immerhin ausgereicht, um die Live Music Hall zu füllen. Jetzt hat Domiziana neues Material dabei, sehr zur Freude der Fans. Doch nicht alle auf dem Gelände sind ihretwegen gekommen. Frederick und Melissa zum Beispiel warten auf Hip-Hop-Künstler Ski Aggu. „Er hat in den sozialen Medien extrem viel Werbung für das Konzert gemacht, und da ich ihn gerate auf meiner Spotify-Playlist habe, nutze ich die Gelegenheit“, sagt ersterer. „Jetzt kann man ja endlich wieder rausgehen und Spaß haben“, ergänzt Melissa, die zum ersten Mal auf der c/o Pop ist und das besondere Flair des Festivals genießt. So also klingt sie, die Zukunft des Pop, oder zumindest ein Teil davon: eigenwillig, beat-lastig, tanzbar und alle Grenzen überschreitend. Also gar nicht mal schlecht.


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